Komplementäre Medizin bei Endometriose – Humbug oder ernstzunehmende Therapie?
Endometriose betrifft etwa 10 Prozent aller Frauen und ist damit eine der häufigsten gutartigen gynäkologischen Erkrankungen. Um den oft noch jungen Patientinnen die bestmögliche Behandlung zu bieten, bündelt das Krankenhaus Nordwest seine Kompetenzen in einem Endometriosezentrum. Das von der Stiftung Endometrioseforschung (SEF) zertifizierte Zentrum ist spezialisiert auf das Erkennen und das Behandeln der Endometriose nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Leitlinien.
Neben den Möglichkeiten der operativen und hormonellen Therapie gibt es Studien, die sich mit den komplementären Maßnahmen bei der Behandlung einer Endometriose-Erkrankung beschäftigen. Im Rahmen des Symposiums “Komplementäre Therapie für Endometriose” am Krankenhaus Nordwest unter wissenschaftlicher Organisation von Prof. Dr. med. Jörg Engel und von Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Hans-Rudolf Tinneberg wurden im September 2019 komplementäre Behandlungsmethoden der Endometriose einem
Fachpublikum vorgestellt und diskutiert.
Die Erkrankung Endometriose
Die Erkrankung Endometriose ist durch das Vorhandensein von Gebärmutterschleimhaut (Endometrium) außerhalb der Gebärmutterhöhle definiert. Diese Absiedlungen können theoretisch im ganzen Körper auftreten. In den meisten Fällen ist der Manifestationsort aber das kleine Becken. Die ektopen Endometriumsinseln sind den hormonellen Veränderungen des Menstruationszyklus unterworfen und verursachen typischerweise zyklusabhängige Unterbauchschmerzen. Endometriose ist zwar die zweithäufigste gutartige gynäkologische Erkrankung, doch ist die Bedeutung bisher wenig ins öffentliche Bewusstsein vorgedrungen.
Die häufigsten Symptome der Endometriose sind Unterbauchschmerzen, die am Anfang noch zyklisch auftreten, später aber permanent bestehen, sowie Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Diese Schmerzen können als moderat, aber auch als heftiger Vernichtungsschmerz wahrgenommen werden. Die Endometriose kann Ursache für einen unerfüllten Kinderwunsch sein. Darüber hinaus verursacht die Endometriose-Erkrankung substanzielle ökonomische Schäden, da sie durch ihre körperlich sehr belastenden Symptome zu häufigen Fehlzeiten am Arbeitsplatz führt.
Endometriose betrifft etwa zehn Prozent aller Frauen
Endometriose ist eine chronisch-rezidivierend auftretende Krankheit und stellt deswegen hohe Anforderungen an die Expertise des Arztes und die Geduld der Patientin. Die primäre Therapie der Endometriose ist die laparoskopische Sanierung, die von einem sehr erfahrenen Operationsteam durchgeführt werden sollte. In den vergangenen Jahren wurden immer mehr Endometriosezentren etabliert, in denen alle Aspekte der Therapie wie Operation, medikamentöse Behandlung, Rehabilitation und psychologische Betreuung unter einem Dach vereinigt sind. In diesen Zentren wird dem komplexen und chronischen Charakter dieser Erkrankung Rechnung getragen und so können Patientinnen, die zum Teil jahrelang an sehr einschränkenden Schmerzsymptomen litten, wieder ein normales Leben führen.
Komplementäre Therapiemodalitäten
Neben den Möglichkeiten der operativen und hormonellen Therapie werden bei der Endometriosebehandlung zunehmend komplementäre Maßnahmen diskutiert und von betroffenen Frauen zwecks Beschwerdelinderung und gegebenenfalls Heilung gewünscht. Dieser Trend ist nicht als Beleg für die Wirksamkeit der Komplementärmedizin aufzufassen, erfüllt jedoch den Wunsch nach Erweiterung der therapeutischen Optionen seitens der Patientinnen und ihrer behandelnden Ärzte.
Der chronisch-rezidivierende Charakter der Endometriose-Erkrankung und die Tatsache, dass sich bei chronischen Schmerzpatientinnen durch das Schmerzgedächtnis die Symptome verfestigen und damit noch schwerer behandelbar werden, lässt es sinnvoll erscheinen, auch komplementäre Therapiemodalitäten in ein ganzheitliches Therapiekonzept einzubeziehen. Alle komplementären Heilverfahren, die die Eigenregulation des Organismus unterstützen und damit die Selbstheilungskräfte aktivieren, können hilfreich in der ganzheitlichen Behandlung einer Endometriose-Erkrankung sein und das Gesamtkonzept der Behandlung ergänzen.
Im Folgenden werden komplementäre Methoden vorgestellt und hinsichtlich ihrer Evidenz in der Therapie beschrieben.
Ernährung
Trotz der bestehenden Unklarheit hinsichtlich der Entstehung der Endometriose konnten Studien belegen, dass es eine Korrelation zwischen der Ernährung und dem Auftreten von Endometriose gibt. Es ist bekannt, dass einige Lebensmittel Auswirkungen auf Immunsystem, Entzündungen und oxidativen Stress haben. Einige interessante wissenschaftliche Studien und Beobachtungen demonstrieren auf jeden Fall eindrücklich die ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse:
- Der Verzehr von Rindfleisch und anderem roten Fleisch sollte reduziert werden, da dieser nach Studien mit einem erhöhten Endometrioserisiko verbunden ist.
- Gesunde Fette wie Olivenöl und pflanzliche und marine Omega-3-Fettsäuren (wie Leinöl und fettreiche Kaltwasserfische) reduzieren den oxidativen Stress.
- Vitamin E und C sowie Selen und Zink inhaltsreiche Lebensmittel wirken entzündungshemmend.
- Die Erhöhung der Magnesiumzufuhr sowie die Vermeidung von Kuhmilchprodukten eine Woche vor der Regelblutung können zu einer Schmerzlinderung während der Periode führen.
- Ballaststoffe in Vollkornprodukten, Gemüse und Obst, Vermeidung von Alkohol und Abbau eines starken Übergewichtes führen zu einer Senkung des Östrogenspiegels (Östrogene sind wesentlicher Faktor bei der Entstehung der Endometriose).
Generell ist ein hoher Anteil aus frischen, natürlichen und unverarbeiteten Lebensmitteln ratsam. Je weniger Zusatzstoffe, desto besser. Eine Heilung wird durch die Ernährung nicht erreicht, doch zum Wohlbefinden trägt sie sicherlich bei.
Ayurveda
Die traditionelle Medizin Ayurveda ist eine indische Heilkunst, die in Deutschland in den vergangenen Jahren zunehmend bekanntgeworden ist. Genauso wie die Traditionelle Chinesische Medizin ist Ayurveda von der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) als medizinische Wissenschaft anerkannt. Die ayurvedische Therapie besteht aus Ayurveda-Massagen und -Reinigungstechniken, der Ernährungslehre, spiritueller Yogapraxis und Pflanzenheilkunde. Wie es in der ayurvedischen Lehre empfohlen wird, können Endometriose-Patientinnen von den regelmäßigen Mahlzeiten, leicht verdaulichen, nahrhaften Speisen, und der warmen und leichten Kost am Abend profitieren. Gewürze wie z. B. Ingwer und Kreuzkümmel können die Verdauungskraft unterstützen. Sehr schwere oder kalte Speisen im Übermaß werden vermieden. Die regelmäßige sanfte Ausdauerbewegung wirkt verjüngend, zellerneuernd und vitalisierend. Die pflanzlichen Arzneien umfassen beispielsweise Präparationen aus Knoblauch, Kreuzkümmel und anderen
Gewürzen, fermentierte Arzneizubereitungen (zum Beispiel auf der Basis von Aloe vera) sowie Pulver oder Tabletten (mit Honig, Süßholz u. a.).
Traditionelle Chinesische Medizin (TCM)
Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) als jahrtausendealte Erfahrungsmedizin basiert auf der Vorstellung, dass die Lebensenergie im Körper reguliert und ausbalanciert fließen kann. Die Energie im Körper, das so genannte Qi, fließt in der chinesischen Vorstellung über definierte Meridiane durch den Körper. Ist der Energiefluss geschwächt, können Schmerzen und Krankheiten entstehen. In der TCM wird der freie Fluss von Blut und Qi (Energie) im Körper durch energetische Blockaden behindert, wodurch sich stoffliche Ansammlungen bilden können. In der Traditionellen Chinesischen Medizin geht man davon aus, dass für die Ansiedlung von Endometriumszellen im Bauchraum eine Stagnation von Qi und Blut in der Gebärmutter die Voraussetzungen sind. Das Qi und das Blut können nicht regulär nach unten abfließen. Dadurch entsteht eine umgekehrte Fließrichtung. Bei Endometriose liegt der Schwerpunkt der TCM in der Kräutermedizin, Lebensführung, speziellen Körperübungen, z. B. Qi Gong, Akupunktur und einer auf die Störung bezogenen ausgewählten Ernährung.
Osteopathie
Osteopathie ist eine ganzheitliche manuelle Behandlungsform. Die osteopathische Philosophie befasst sich mit dem Anspruch an das Wohlbefinden durch Kenntnis der Zusammenhänge von Struktur und Funktion sowie mit der Suche nach den Ursachen für die Probleme der Patienten. In Bezug auf die Schmerzbekämpfung bei Patientinnen bietet es einen globalen Ansatz für komplexe psychophysische und soziale Faktoren, die die Entwicklung chronischer Schmerzen beeinflussen. Osteopathie beschreibt die Kausalität zwischen zahlreichen Symptomen und Krankheiten aufgrund der faszialen Verbindungen zwischen dem Bewegungsapparat und den inneren Organen. Somit kann eine chronische Entzündung der genitalen Organe zu Symptomen des Bewegungsapparates und umgekehrt führen. Mit speziellen Techniken werden Funktionsstörungen im Bereich des Bewegungsapparats, aber auch im Bereich innerer Organe behandelt und behoben. Die Dehnung und Bewegung des Zwerchfells ist insbesondere für die Beweglichkeit der Bauchorgane sehr wichtig. Durch Atmung erfolgt die Selbstmassage der inneren Organe. Durch Zwerchfell und Bauchatmung kann eine Mobilisierung der Beckenorgane erfolgen und Verklebungen gelöst werden. Darüber hinaus sind alle Übungsmethoden, die eine tiefe Atmung beinhalten (Qi Gong, Yoga, Feldenkrais, Autogenes Training, Jakobsentraining) geeignet. Die Osteopathie kann das Problem nicht in jedem Fall lösen, sie kann jedoch dazu beitragen, andere Regionen zu entlasten, wodurch die biomechanischen Belastungen des Beckens und des Beckenbodens verringert werden.
Insgesamt ist festzuhalten, dass neben den etablierten schulmedizinischen Behandlungsverfahren auch komplementäre Therapien in der Behandlung von Patientinnen mit Endometriose als Ergänzung eingesetzt werden können. Zur Heilung der Endometriose werden diese Therapieoptionen jedoch nicht führen: zur Steigerung des Wohlbefindens der Patientinnen tragen sie sicherlich bei, wodurch diese Therapieansätze als positiv zu bewerten sind.
Prof. Dr. med. Jörg B. Engel
Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, Schwerpunkte Gynäkologische Onkologie, Perinatalmedizin, Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Senior Mamma-Operateur, MIC III - höchste Qualifikationsstufe in der gynäkologischen Endoskopie
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