Hospital zum Heiligen Geist & Krankenhaus Nordwest

Psychoonkologie unterstützt Krebspatienten – Neues interdiziplinäres psychoonkologisches Konzept

In Deutschland erkranken laut Robert-Koch-Institut jedes Jahr etwa 480.000 Menschen neu an Krebs und aufgrund der demografischen Entwicklung ist zwischen 2010 und 2030 mit einem Anstieg der Krebsneuerkrankungen um mindestens 20 Prozent zu rechnen. Das zunehmende Bewusstsein, dass sich körperliche Erkrankungen und psychische Prozesse gegenseitig beeinflussen, führt dazu, dass die Beachtung der psychischen Begleit- und Folgeerkrankungen von Krebsleiden im Fokus steht und die Aufmerksamkeit auf die Optimierung der Gesamtbehandlung gerichtet ist.

Nach unserem Krankheitsverständnis ist es erforderlich, neben den somatischen Aspekten in die Behandlung der Tumorerkrankungen auch die psychischen und psychosozialen Bedürfnisse der Patienten zu integrieren. Durch die medizinischen Entwicklungen erhöht das Langzeitüberleben von Tumorpatienten den psychoonkologischen Versorgungsbedarf, was die Patienten vor veränderte Bewältigungsanforderungen stellt.

Diese Entwicklung mit einem erhöhten psychoonkologischen Versorgungsbedarf zeichnet sich auch im klinischen Alltag der beiden Stiftungskrankenhäuser Krankenhaus Nordwest und Hospital zum Heiligen Geist ab. Mit der Einrichtung der onkologischen-§116b-Ambulanz am Hospital zum Heiligen Geist werden seit 2009 onkologische Patienten über die Sektorengrenzen hinweg stationär im Rahmen eines ärztlichen Konsiliar- und Liaisondienstes und ambulant fachärztlich psychoonkologisch behandelt.

Seit Juli 2017 wird diese Zusammenarbeit auf das Onkologische Zentrum des Krankenhauseses Nordwest ausgedehnt. Dieses Konzept ersetzt das bisherige psychoonkologische Beratungsangebot und orientiert sich an der S3-Leitline Psychoonkologie (Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten, 1/2014), dem Hessischen Onkologiekonzept (Neufassung 2010) sowie dem ergänzenden Entwurf zum psychosozialen Versorgungskonzept von Prof. Dr. med. Johannes Kruse, Universitätsklinikum Gießen/Marburg und unseren Erfahrungen aus der Zusammenarbeit der Klinik für Onkologie (Prof. Dr. med. Elke Jäger, Krankenhaus Nordwest) und der Psychosomatischen Klinik (Dr. med. Wolfgang Merkle, Hospital zum Heiligen Geist).

Ziel ist die Verbesserung der Lebensqualität

Das Behandlungskonzept verfolgt einen interdisziplinären Ansatz. Ziel ist es, wissenschaftlich erhobene Ergebnisse zu den verschiedenen psychosozialen Aspekten in der Entstehung, Behandlung und im Verlauf einer Krebserkrankung bei der Versorgung und Betreuung der Patienten umzusetzen, um eine Verbesserung der Lebensqualität zu ermöglichen.

Zentrale Aufgaben der psychoonkologischen Versorgung sind patientenorientierte und bedarfsgerechte psychoonkologische Interventionen. Obwohl Krebspatienten nicht per se psychotherapeutisch behandlungsbedürftig sind, kann eine lebensbedrohliche Krebserkrankung die Kriterien eines psychischen Traumas erfüllen, Ängste und Depression sind häufige Komorbiditäten in der Krankheitsbewältigung. Umso wichtiger ist eine gezielte Indikations- und Bedarfsklärung im Rahmen einer ärztlichen Konsiluntersuchung. Die Tumorerkrankungen stellen in besonderer Weise gewohnte Rollen, das Selbstbild und das Selbstvertrauen in Frage, häufig sind Menschen mit ihren bisherigen Bewältigungsmechanismen überfordert, Familienangehörige und das gesamte soziale Umfeld sind mit betroffen.

Im Sinne unseres psychoonkologisch/ psychosomatischen Behandlungskonzeptes ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den verschiedenen Fachabteilungen in der Versorgung von Patienten mit Tumorerkrankungen ein wichtiger Ansatz. Die Schnittstellen zu den anderen somatischen Disziplinen sollen durch unsere in der Psychoonkologie tätigen Ärzte sowohl durch direkten Austausch und Rückmeldungen als auch schriftliche Dokumentation und Teilnahme an Besprechungen und Konferenzen umgesetzt werden. Die Psychoonkologie wird als Teil des onkologischen Behandlungskonzeptes verstanden.

Da sich gezeigt hat, dass durch eine frühzeitige Integration psychoonkologischer Angebote Patienten mit zukünftigen Problemen besser umgehen können, bevor dysfunktionale Bewältigungsmechanismen wie Depression, Resignation, Stress und Verzweiflung sich verfestigen, sollen alle Tumorpatienten an einem Screening teilnehmen und nach Bedarf bzw. Wunsch der Patienten ein psychoonkologisches Erstgespräch erfolgen. Scham, Angst vor Autonomie- und Kontrollverlust machen es vielen Patienten schwer, psychoonkologische Gesprächsangebote zur Unterstützung der Krankheitsbewältigung anzunehmen. Dies bestätigte sich in einer Studie von Rosenberger (2012). Nur 28 Prozent der Patienten suchen Unterstützungsangebote auf eigene Initiative auf, die Mehrzahl auf Empfehlung von behandelnden Ärzten (67 Prozent) und Freunden (17 Prozent). Im Rahmen unseres psychoonkologischen Versorgungskonzeptes besteht die Möglichkeit, den Kontakt kontinuierlich aufrecht zu erhalten und immer wieder niederschwellig durch die Präsenz der ärztlich tätigen Psychotherapeuten auf den Stationen Gesprächsangebote zu machen.

Die Psychoonkologie wird als Teil des onkologischen Behandlungskonzeptes verstanden

Die Betreuung der onkologischen Patienten soll sowohl als akutstationäre Versorgung im Rahmen des psychoonkologischen Konsil- und Liaisondienstes als auch weiterführend ambulant in der onkologischen Ambulanz sichergestellt sein. Diese sektorenübergreifende Behandlung ermöglicht eine Begleitung und ein krankheitsphasengerechtes Behandlungsangebot (diagnostische Phase, stationär-operativ/onkologische Behandlungsphase, Nachsorge, Rezidivphase).

Die psychoonkologische Behandlung von Tumorpatienten stellt aufgrund der Komplexität von somatischen und psychischen Aspekten eine besondere Herausforderung dar. Unser Anspruch als koordinierendes Zentrum im Sinne des Hessischen Onkologiekonzeptes ist, neben einer hochdifferenzierten somatischen Versorgung eine hochdifferenzierte psychoonkologische Versorgung der Patienten zu gewährleisten. Daraus leitet sich die Notwendigkeit einer fachärztlichen oder psychologisch-psychotherapeutischen Behandlung ab.

Identifikation betreuungsbedürftiger Krebspatienten

Die Diagnostik im Rahmen des psychoonkologischen Behandlungskonzeptes dient der Erfassung von psychosozialen Belastungs- und Vulnerabilitätsfaktoren, subsyndromalen Beschwerden aber auch manifesten psychosomatischen Beschwerden und psychosomatisch-psychiatrischen Erkrankungen. Diese können vorbestehend existieren, während oder als Folge der onkologischen Erkrankung oder der onkologischen Behandlung in Erscheinung treten. Eine genaue Erfassung, Einordnung und Differentialdiagnose der Beschwerden bzw. Krankheitssymptome begründet den weiteren individuellen Unterstützungs- oder Behandlungsbedarf. Dieser kann bei guter psychosozialer Unterstützung und guten Copingmechanismen gering sein, es findet sich in der Literatur aber auch in einer Größenordnung von ca. 40 - 50 Prozent bei Krebspatienten eine diagnostizierbare psychische Störung, 90 Prozent davon aufgrund der Diagnose bzw. von Behandlungsbelastungen (Schwarz, 1995).

Screening

Alle Krebspatienten werden mittels eines geeigneten Screeningverfahrens auf ihre psychosoziale Belastung und ihren psychoonkologischen Betreuungsbedarf untersucht. Das von uns verwendete Screeninginstrument ist das Distress-Thermometer (Mehnert, Müller, Lehmann, Koch (2006), Deutsche Version). Die Untersuchung findet bei Erstaufnahme statt. Ein erneutes Screening erfolgt z.B. bei Wechsel der Versorgungsstruktur (Station/Ambulanz), bei Veränderung des Krankheitsstatus oder bei Bedarf und zur Verlaufsbeurteilung.

Psychoonkologische Interventionen beeinflussen Angst und Schmerzerleben

Psychoonkologisches Erstgespräch

Das psychoonkologische Erstgespräch erfolgt auf Wunsch des Patienten, auf Wunsch des behandelnden Onkologen oder nach ermitteltem Bedarf im Screeningverfahren. Der behandelnde Onkologe fordert ein fachärzliches, psychoonkologisches Konsil an.

  • Durchführung durch Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Weiterbildungsassistenten, psychologische Psychotherapeuten.
  • Der zeitliche Rahmen für ein Erstgespräch beträgt 50 Minuten. Folgegespräche können vereinbart werden.

  • Inhalte Erstgespräch:

    • Klärung der aktuellen Belastung

    • Ggf. Krisenintervention nach Eröffnung ED

    • Erhebung der somatischen Anamnese und Symptomatik

    • Erhebung der biographischen Anamnese

    • Erhebung des psychopathologischen Befundes

    • Diagnose von Komorbidität nach ICD-10

    • Abklärung Suizidalität

    • Klärung des weiteren Betreuungsbedarfes und ggf. ergänzende Therapienotwendigkeit (ambulant/stationär, psychiatrisch/psychotherapeutisch, ambulanter Psychiater...)

  • Beratung und Information über ergänzende Angebote (Selbsthilfegruppen, Sportangebot, Entspannungsverfahren usw.)
  • Ggf. medikamentöse Unterstützung

Psychoonkologische Interventionen

Die Wirksamkeit psychoonkologischer Interventionen auf emotionale Belastungen und die Verbesserung der Lebensqualität kann inzwischen gut belegt werden (Faller et al., 2013), insbesondere zeigten sich positive Einflüsse auf Angst und Schmerzerleben (Rauchfuß, Charité, 2010). Im Rahmen unseres psychoonkologischen Konsil- und Liaisondienstes werden folgende Angebote abgebildet:

  • Fachärztlich psychoonkologisches Erstgespräch
  • Gesprächsangebote zur Krankheitsverarbeitung
  • Begleitung bei onkologischer Aufklärung
     
  • Krisenintervention
     
  • Psychopharmakologische Unterstützung
     
  • Vermittlung psychotherapeutischer Einzeltherapie
  • Entspannungsverfahren, imaginative Stabilisierungsübungen
     
  • Gesprächsangebote für Angehörige, Paargespräche
  • Psychoedukation im Einzelgespräch bzw. als Vortrag für Patienten, Medizin im Dialog, Informationsbroschüren und Flyer
  • Psychosoziale Beratung und Vermittlung ergänzender Unterstützungsangebote (z.B. Selbsthilfegruppen)
Chefarzt

Dr. med. Wolfgang Merkle

Oberärztin

Dr. med. Claudia Esser

Fachärztin für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin; Fachärztin für Psychiatrie; Psychoonkologin DGPM, DKG

Oberarzt

Claas Drefahl

Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Spezielle Schmerztherapie, Psychoonkologie DGPM, DKG