Krankenhaus Nordwest

Moderne Therapie des Aortenaneurysmas – EVAR (Endovascular Abdominal Aortic Aneurysm Repair)

Albert Einstein, Charles de Gaulle und den US-Spitzendiplomat Richard Holbrooke ereilte das gleiche Schicksal: Alle drei starben an den Folgen eines Aneurysmas der Bauchaorta. Pathologische Erweiterungen der Hauptschlagader, d. h. wenn der Durchmesser der Aorta auf mehr als 3 cm erweitert ist, werden als Aortenaneurysma bezeichnet. Das Risiko dieser zumeist asymptomatischen Erkrankung liegt in einem plötzlichen Zerreißen der Aorta (Ruptur) und einem konsekutiven Verblutungstod.

Ätiologie

Aortenaneurysmen entstehen auf dem Boden einer chronischen Entzündung der Aortenwand und sind mit der Atherosklerose assoziiert. Risikofaktoren für die Entstehung eines Aneurysmas sind andere Gefäßerkrankungen, Bluthochdruck und Rauchen sowie eine familiäre Vorgeschichte mit Aortenaneurysmen. Seltenere beitragende Faktoren sind Verletzungen, Gefäßentzündungen, Syphilis und Bindegewebserkrankungen. Bei 60 Prozent aller Patienten ist die abdominale Aorta betroffen. Während 95 Prozent dieser Aneurysmen unterhalb der Nierenarterien beginnen, sind die Nierenarterien nur in drei Prozent und das Viszeralsegment lediglich in zwei Prozent der Fälle miteinbezogen.

Risikofaktoren für die Entstehung eines Aneurysmas sind andere Gefäßerkrankungen, Bluthochdruck und Rauchen sowie eine familiäre Vorgeschichte.

Epidemiologie

Die Inzidenz für Aortenaneurysmen der großen Gefäße beträgt 40/100.000 Einwohner. Männer sind von dieser Erkrankung sechsmal häufiger betroffen als Frauen. Das Risiko einer Ruptur hängt vom Axialdurchmesser des Aneurysmas ab. Bei einem Durchmesser von 4,0 bis 4,9 cm liegt das Risiko bei rund drei Prozent, bei 5,0 bis 5,9 cm bei zehn Prozent, bei 6,0 bis 6,9 cm bei 15 Prozent und bei mehr als 7 cm beträgt es 60 Prozent. Ein weiterer Einflussfaktor auf das Rupturrisiko ist die Wachstumsrate. Bei einem Wachstum von mehr als 0,5 cm in sechs Monaten muss dieses Risiko als hoch eingeschätzt werden. Daher sollten asymptomatische Aneurysmen mit einem Wachstum von mehr als 0,5 cm in sechs Monaten oder einem Durchmesser von mehr als 5 bis 5,5 cm elektiv ausgeschaltet werden. Symptomatische Aneurysmen sollten innerhalb von 24 Stunden versorgt werden und rupturierte Aneurysmen stellen eine Notfallindikation dar.

 

Diagnostik

Alle Aneurysmen sind normalerweise symptomlos, falls sie sich nicht rasch ausweiten oder reißen. Die Symptome können manchmal auf dem Druck beruhen, den das Aneurysma auf die umgebenden Strukturen ausübt. So kann ein Bauchaortenaneurysma zu Rücken- und Bauchschmerzen führen, die häufig lang anhalten. Manchmal kommt es zu Durchblutungsstörungen der Füße, weil sich kleine Blutgerinnsel vom Aneurysma lösen und im Blut zu den unteren Extremitäten mitgenommen werden. Ein Bauchaortenaneurysma kann zufälligerweise als pulsierende Geschwulst im Bauch entdeckt werden. Ein schnell wachsendes Aneurysma kann zu Bauchschmerzen führen.

Ein Aneurysma der im Brustkorb verlaufenden Aorta kann zu Brustschmerzen oder zu Symptomen führen, die durch den Druck gegen die Speiseröhre, den Stimmbandnerv oder die großen Hohlvenen bedingt sind. Infolgedessen kommt es möglicherweise durch zusammengedrückte Atemwege oder Bronchien zu blutigem Husten. Ebenfalls kann Heiserkeit durch den Druck auf die linke Seite des Stimmbandnervs hervorgerufen werden. Ein Aneurysma im Brustanteil der Aorta ist meist ein Zufallsbefund bei einer radiologischen Diagnostik des Brustkorbs.

Eine Ultraschall-Untersuchung kann die Größe und Ausdehnung des Aneurysmas zeigen. Vor allem Bauchaortenaneurysmen sind im Ultraschall deutlich zu erkennen. Über 80 Prozent aller abdominalen Aortenaneurysmen sind klinisch asymptomatisch und werden zufällig im Rahmen einer Ultraschall-Untersuchung des Abdomens entdeckt. Die Untersuchung dient auch der Kontrolle, ob es eventuell zu einer Zunahme gekommen ist. Mit einer Computertomografie (CT) ist eine präzise Messung möglich. Sie zeigt die genauen anatomischen Gegebenheiten und ist daher eine mögliche Alternative zur Ultraschall-Untersuchung. Vor einer möglichen Operation ist eine CT-Angiografie der Aorta mit einem Kontrastmittel zu empfehlen.

Therapie

Die konventionelle offene Operation beinhaltet immer noch eine hohe Mortalitäts- und Morbiditätsrate, trotz der Fortschritte im perioperativen Management, bei intraoperativen Zusatzmaßnahmen und verbesserter postoperativer Behandlung. Nach der ersten Einführung im Jahr 1991 wurde die endovaskuläre Reparatur (EVAR) von abdominalen Aortenaueurysmen (AAA) in vielen Zentren die Standardprozedur. Ein direkter Vergleich mit der offenen Operation ist allerdings unrealistisch, da einerseits die meisten endovaskulär behandelten Patienten sowieso als ungeeignet für den offenen Eingriff eingeschätzt wurden und man andererseits berücksichtigen muss, dass die anatomische Eignung für die endovaskuläre Reparatur ebenfalls eine Selektion der Fälle bedeutet.


Die Verwendung von Stentprothesen ermöglicht es, abdominale (AAA) sowie thorakoabdominale (TAAA) Aortenaneurysmen minimal invasiv zu behandeln. Heutzutage können alle, nicht nur die Patienten, denen aufgrund ihrer Komorbidität oder auch ihres Alters eine offene Operation verweigert wurde, nun mit EVAR risikoärmer behandelt werden. In der offenen Aortenchirurgie muss für die Zeit der Rekonstruktion die Aorta geklemmt werden („cross-clamping“). Cross-clamping erhöht die kardiale Nachlast und ist der Hauptgrund für kardiale Ischämien oder kardiale Dekompensation während der Operation oder im frühpostoperativen Verlauf. Diese kardiale Belastung ist während der EVAR nicht erforderlich.

Die Hauptbeschränkung von EVAR ist jedoch die Notwendigkeit eines geeigneten normalen infrarenalen Aortensegments (d. h. proximalen Halses) als Landezone für die Stentprothese. Ein starkes Kinking, Stenosen, größere Thromben oder ausgedehnte Kalzifikationen der Aorta bzw. der Iliakalarterien können eine Kontraindikation darstellen. Die Lösung der geeigneten Landezone im peri- bzw. suprarenalen Bereich sowie im Bereich der linken arteria subclavia war die Einführung von maßgefertigten fenestrierten und mit Seitenarmen versehenen (gebranchten) Prothesen zum Anschluss der lebenswichtigen viszeralen/supraaortalen Arterien. Die dadurch möglichen Fortschritte in der fenestrierten endovaskulären Technik (F-EVAR) haben in den letzten zehn Jahren den Weg zur Behandlung von juxtarenal gelegenen Aneurysmen und solchen mit kurzem Hals geebnet. Mit über 2.500 Fällen weltweit ist F-EVAR inzwischen etabliert. Die weitere Entwicklung in der endovaskulären Technologie, insbesondere von gebranchten Prothesen (B-EVAR, d. h. Prothesen mit gerichteten Seitenästen),  führte zu den ersten Versuchen, auch TAAA und das Aneurysma des Aortenbogens zu behandeln.

Die verschiedenen auf dem Markt erhältlichen Prothesentypen haben unterschiedliche Konfigurationen, so dass der Anwender unter Berücksichtigung der anatomischen Voraussetzungen die für den Patienten am besten geeignete Prothese auswählen kann. Die Hersteller geben für ihre Stentprothesen Anwendungsbeschränkungen und Limitationen vor. Der Einsatz von Stentprothesen außerhalb dieser Normen (Off-Label-Gebrauch) wird weltweit im klinischen Alltag praktiziert. Ein solcher Off-Label-Gebrauch der Prothesen wird als einer der unabhängigen signifikanten Risikofaktoren für eine Vergrößerung des Aneurysmasacks nach EVAR erkannt.

Wachstum des Aortenaneurysmas nach EVAR
Wenn das Aneurysma durch die Stentprothese ausgeschaltet wurde, kann im Verlauf eine Größenreduktion im Aneurysmasack beobachtet werden. In Fällen, in denen eine Expansion des Aneurysmas nach Implantation beobachtet werden kann, ergibt sich ein potenzielles Rupturrisiko. Ursächlich hierfür ist meist eine Endoleckage, dies muss als Therapieversagen gewertet werden. Es handelt sich hierbei offensichtlich durchweg um ein Problem, das im Langzeitverlauf vorkommen kann.

Nachsorge nach EVAR
Die Mortalität der Ruptur nach EVAR ist hoch (> 60 Prozent). Jedoch sind die Komplikationen nach EVAR, die zur sekundären Aneurysmaruptur führen, bis auf sehr seltene Ausnahmen mit entsprechender Bildgebung erkennbar. Dabei werden im Rahmen der Kontrollen folgende Parameter beurteilt:
· Dynamik des Aneurysmasacks (Schrumpfung, Expansion)
· Endoleckagen (ja/nein, Typ)
· Position der einzelnen Stentgraftkomponenten (Migration, Dislokation)

Goldstandard zur Verlaufsdiagnostik ist zurzeit die CT-Angiografie. Neben dem Vorteil einer sehr kurzen Untersuchungszeit liefert diese Methode detaillierte Informationen zu allen oben genannten Punkten. Der Nachteil der Methode ist die sich im Laufe der Zeit kumulierende Strahlenbelastung sowie das jodhaltige nephrotoxische Kontrastmittel. Um die Belastung durch CT-Angiografien bei EVAR-Patienten zu reduzieren, können alternativ kontrastmittelunterstützte Ultraschalluntersuchungen zur jährlichen Verlaufskontrolle durchgeführt werden. Damit können die Größe des Aneurysmasacks und Endoleckagen beurteilt werden. Eine weitere Alternative zur Reduktion der kumulativen Strahlendosis nach EVAR ist die Magnetresonanz-Angiografie (MRA).

Zusammenfassung

Mit Etablierung der endovaskulären Technik konnte auch eine weitere Senkung der perioperativen Mortalitätsrate der offenen Chirurgie erreicht werden. Die Einführung der Stentprothesen scheint zudem das Risiko, an einer Aneurysmaruptur zu sterben, zu reduzieren. Die Weiterentwicklung seit Beginn der endovaskulären Technik und die Verwendung von daraus resultierenden modernen Prothesen der dritten Generation ermöglicht eine zunehmend breitere Anwendung. Dies hat zur Folge, dass Ärzte immer häufiger vor der Entscheidung stehen, den Patienten zu einem bestimmten Verfahren zu raten. Bei einem Patienten mit niedrigem operativen Risikoprofil, dessen zu behandelndes Aortenaneurysma die morphologischen Voraussetzungen für eine EVAR erfüllt, treten die beiden Methoden, EVAR und offene Operation, in Konkurrenz.

 

EVAR kann mit einer niedrigen Komplikationsrate durchgeführt werden.

 

Die Indikation für einen offenen oder endovaskulären Ersatz der Aorta ist klar definiert und die Operationen können in gefäßchirurgischen Zentren mit ausgewiesener Expertise und breiter Erfahrung mit einer niedrigen Komplikationsrate durchgeführt werden. Im Langzeitverlauf könnten bei der endovaskulären Aortenprothese jedoch einige  Komplikationen auftreten. Daher werden zurzeit nach EVAR regelmäßige Kontrollen empfohlen.

Endovaskuläre Therapie der Aortenaneurysmen im Krankenhaus Nordwest
Bereits vor zwei Jahren wurde im Krankenhaus Nordwest ein moderner „Hybrid-OP“ mit biplanarer Röntgenanlage zur Durchführung der interventionellen Gefäßtherapie und somit endovaskulären Aortenchirurgie gebaut. Dies ermöglicht der Klinik für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin unter der Leitung von Prof. Dr. med. M. Zegelman als zentraler Bestandteil des interdisziplinären Gefäßzentrums die Durchführung der modernen, hochkomplexen Aortenchirurgie.

Leitender Oberarzt

MUDr./Uni Bratislava Milan Lisy, PhD

Facharzt für Herz- und Gefäßchirurgie

Telefon
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E-Mail nink.annette(at)khnw(dot)de