Hospital zum Heiligen Geist

"Verwirrt nach der OP – Das postoperative Delir"

Eine besondere Gefahr nach der Operation stellt die Entwicklung einer Verwirrtheit („Delir“) dar, die sich dauerhaft nachteilig auf die Lebenssituation der Patienten auswirken kann, z. B. erhöhtes Sturz- und Infektionsrisiko, und mit einer erhöhten Mortalität einhergeht. Doch die Gefahr kann reduziert werden: Über die Problematik und Schutzmaßnahmen sprechen wir mit Skadi Stahlberg, Oberärztin der Klinik für Anästhesiologie, Operative Intensivmedizin und Schmerztherapie am Hospital zum Heiligen Geist.

DIE STIFTUNG:
Frau Stahlberg, immer mehr ältere Menschen werden heute im Krankenhaus operiert. Wie oft kommt es dabei zu einem postoperativen Delir?

 

Skadi Stahlberg: » Wir wissen heute, dass das Delir die häufigste psychiatrische Erkrankung von Patienten auf der Intensivstation und im perioperativen Umfeld darstellt. Studien zeigen, dass bis zu 60 Prozent der älteren hospitalisierten Patienten perioperativ ein Delir entwickeln. Hohes Alter und bestehende neurodegenerative sowie neurovaskuläre Erkrankungen sind klassische Risikofaktoren für die Entstehung eines Delirs. Leider stellt auch der operative Eingriff selbst ein erhebliches Risiko dar. Neben einer unbekannten Umgebung in den Operationsräumen, im Aufwachraum oder auf der Intensivstation, also insgesamt dem Entreißen der Patienten aus ihrem gewohnten Umfeld, spielt speziell die präoperative Flüssigkeitskarenz eine erhebliche Rolle. «

 

Was sind Symptome eines Delirs?

 

» Die Symptome können eine Vielzahl an psychotischen, psychomotorischen und affektiven Symptomen umfassen. Neben einer gestörten Kognition – Wahrnehmung, Gedächtnis, Sprache und Orientierung – ist häufig auch der Schlaf-Wach-Rhythmus beeinträchtigt. Die Symptome zeichnen sich zudem durch einen akuten Beginn nach der Operation sowie einen fluktuierenden Verlauf aus. «

 

Wie kann man ein postoperatives Delir vermeiden?

 

» 2010 erschien in Deutschland erstmalig eine S3-Leitlinie zum Thema „Analgesie, Sedierung und Delirmanagement“, welche in fachübergreifender Zusammenarbeit entstanden ist. 2015 gab es bereits eine Neuauflage, was die Dringlichkeit des Themas unterstreicht. Für die Prävention eines Delirs werden in der Leitlinie nicht-medikamentöse sowie auch medikamentöse Optionen vorgestellt. Dabei wird der Aufrechterhaltung der „Homöostase“, dem Gleichgewichtszustand aller offenen dynamischen Systeme des Patienten, eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Das bedeutet für den betreuenden Anästhesisten, dass er intraoperativ ein ausreichendes Sauerstoffangebot an die Gewebe gewährleisten muss, vor allem an das Gehirn. Deshalb ist genau auf die Aufrechterhaltung eines suffizienten Kreislaufs und eines adäquaten Hämoglobinwerts als Sauerstofftransportkapazität zu achten. «

 

Gibt es spezielle Maßnahmen im Hospital zum Heiligen Geist, um ältere Menschen davor zu schützen?

 

» Besonders wichtig ist uns die Aufklärung: Unsere wöchentlich stattfindenden Abteilungsfortbildungen behandeln das Thema regelmäßig und berichten über neue medizinische Erkenntnisse. Zudem erarbeitet das Ärzteteam gemeinsam mit den Pflegekräften ein optimales Umsetzungskonzept. Wichtig ist uns zudem die Umsetzung der Maßnahmen aus der S3-Leitlinie, so ist die Aufrechterhaltung der Homöostase des Patienten oberstes Ziel.

Zusätzlich achten wir auf eine angemessene Narkoseführung: Dazu zählen die Auswahl des adäquaten Narkoseverfahrens, der Verzicht auf bestimmte Medikamentengruppen, z. B. Benzodiazepine, und ein engmaschiges Monitoring. Auch halten wir die präoperativen Nüchternheitszeiten so gering wie möglich. Trotz des schönen hellen Tageslicht-Aufwachraums im Hospital bleiben die Patienten postoperativ in der ungewohnten Umgebung nur so kurz wie möglich. Unser Team bemüht sich darum, die Patienten nach der Operation zügig zu mobilisieren. So werden z. B. Hörgeräte und Brille rasch wieder angelegt und Patienten zu Aktivitäten angeregt, um sie aus ihrer Passivität herauszuholen.

Auch wurde eine intensivierte Patientenbetreuung implementiert: weniger verschiedene Ansprechpartner – dafür Bezugspersonen, die Orientierung, Zuwendung und Aufmerksamkeit vermitteln. Auch versucht man, Angehörige und gewohnte Gegenstände durchgängig einzubinden. Ebenso wurde das Entlassungsmanagement optimiert: Die Kontaktaufnahme zum Sozialdienst erfolgt noch frühzeitiger, um eine angepasste Rückkehr in den Alltag zu gewährleisten. «

 

Internationale Studien zeigen, dass bis zu 84 Prozent aller von einem Delir Betroffenen vom Krankenhauspersonal nicht erkannt und daher auch nicht behandelt werden. Wie stellen Sie sicher, dass ein Delir frühzeitig erkannt wird?

 

» Es ist wichtig, dass ein Delir frühzeitig erkannt wird, um Folgeschäden zu vermeiden. Hierfür führen wir regelmäßige Tests zur Einschätzung der aktuellen kognitiven Leistungsfähigkeit der Patienten durch. Dies ist notwendig, da vor allem Menschen mit einem hypoaktiven Delir kaum auffallen. Sollte ein Delir festgestellt werden, lässt sich eine vorsichtig dosierte medikamentöse Therapie nach Ausschöpfung aller nicht-medikamentösen Optionen zur Vermeidung der Eigengefährdung des Patienten nicht immer umgehen.

Am schönsten ist es für uns Anästhesisten aber natürlich, wenn uns Patienten bei der postoperativen Visite am nächsten Morgen berichten: „Frau Doktor, das hatten wir uns schlimmer vorgestellt!“ Dann wissen wir, dass sich unsere vielfachen Bemühungen gelohnt haben. «

 

 

Das Gespräch führte Marina Kallis.

Oberärztin

Skadi Stahlberg

Fachärztin für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Spezielle Schmerztherapie

Telefon
Fax (069) 2196 - 2159
E-Mail redzic.nevresa(at)hohg(dot)de