Die Therapie der komplexen Traumafolgestörung und der stressbedingten Schmerzstörung
Seit mehr als 25 Jahren arbeiten wir als Psychosomatische Klinik am Hospital zum Heiligen Geist erfolgreich mit einer multimodalen psychosomatischen Behandlung auf psychoanalytischer Grundlage stationär, tagesklinisch und in der vor kurzem gegründeten Psychosomatischen Institutsambulanz. Neu konzeptualisiert und eingeführt wurden jeweils störungsspezifische (Gruppen-)Therapien der komplexen Traumafolgestörung und der stressbedingten Schmerzstörung.
Symptome der komplexen Traumafolgestörung und der stressbedingten Schmerzstörung
In der ICD 11 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) wird der Bereich der komplexen Traumafolgestörung als eigenständiges Krankheitsbild mit den Leitsymptomen nicht nur, wie bisher in der ICD 10, in der Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung, den intrusiven Erinnerungen und den Flashbacks gesehen. Die komplexe Traumafolgestörungzeichnet sich, neben den genannten Symptomen, durch die Übererregung, das heißt durch eine andauernde und vorschnelle Aktivierung des sympatogenen autonomen Nervenystems sowie durch eine Störung der Emotionsregulation und des negativen Selbstbildes, aus.
Durch die anhaltende Übererregung kommt es zu einer veränderten Modulation im Bereich des Stressverarbeitungssystems, sodass es, geleitet durch eine verstärkte muskuläre Aktivierung, bei anhaltender Anspannung im Verlauf zu einer stressbedingten Schmerzstörung kommen kann. Bei den betroff enen Patienten waren Kindheit und Jugend geprägt von Erfahrungen emotionaler Gewalt, Misshandlungen und sexuellem Missbrauch sowie Vernachlässigung. Es lassen sich im Vergleich mit Menschen ohne diese Belastungsfaktoren Alterationen in verschiedenen Hirnarealen wie im präfrontalenCortex, in der Amygdala und im Hypocampusfinden. Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse verändert sichdurchdie Ausschüttung von Stresshormonenund nachfolgend modulierter Cortisol Ausschüttung. Diese Alterationen gehenmit einer erhöhten Stressanfälligkeit desIndividuums einher.
Epigenetische Prozesse verändern vorallem das junge Gehirn und programmieren es in Richtung Überleben und schnellere körperliche und seelische Reifung. So gibt es Hinweise, dass Menschen, die früh Vernachlässigung und Gewalt ausgesetzt sind, schneller in die Pubertät kommen, im Verlauf schneller altern, aber auch durch Telomerverkürzung früher versterben.
Wenn die individuelle Entwicklung in Richtung stressinduzierter Schmerzstörung weist, geht häufig eine altruistische Abtretung voraus, das heißt Fehlen des Wahrnehmens eigener Bedürfnisse, ausgeprägtes Kümmern um andere mit Defiziten in der Selbstfürsorge. Die Kommunikation dieser Bedürfnisse und Emotionen wird unterdrückt und die Wahrnehmung körperlicher Stressoren als normalerweise wichtiges Signal des Selbstschutzes wird übergangen.
Die Patienten leiden häufig unter komorbiden Störungen wie Depressionen und Angsterkrankungen
Bei Menschen mit chronischer Schmerzstörung und somatoformen Störungen kommt es nach einer Phase der Überkompensation (zur Selbstwertregulation) im weiteren Verlauf dann zu einer absinkenden Schmerzschwelle. Mit Veränderungen und Erhöhung der muskulären Spannung, häufig nach einem dem Patienten nicht bewussten Auslöseerlebnis, folgt die Dekompensation der bisherigen Bewältigungsmechanismen in Richtung der psychosomatischen Symptome.
Alle Patienten, die zu uns in die Klinik für eine stationäre oder teilstationäre Behandlung kommen, werden zuvor im Vorgespräch von erfahrenen Kollegen gesehen. In der Ambulanzkonferenz überlegen wir als Leitungsteam vor der Aufnahme, welche Station beziehungsweise Tagesklinik am geeignetsten wäre und stellen die Indikation für die entsprechenden störungsspezifischen Gruppen. Je nach Krankheitsbild der Betroffenen sind die störungsspezifischen Gruppen auch kombinierbar. So kann ohne Zeitverlust nach der Aufnahme mit dem individualisierten Therapieplan gestartet werden.
Die Patienten leiden zudem häufig unter komorbiden Störungen wie Depressionen und Angsterkrankungen. Es ist unumgänglich, diese Störungen mit in die Behandlungsplanung einzubeziehen.
Störungsspezifische Therapie der komplexen Traumafolgestörung und der stressbedingten Schmerzstörung
Was bedeutet störungsspezifische Therapie? Ein Ineinandergreifen von psychoedukativen Elementen des entsprechenden Krankheitsbildes und psychoanalytischinteraktionelle ärztlich/psychologisch geleitete Gruppentherapie mit Austausch der Patienten untereinander. Hinzu kommen Gruppen, die von einer ausgebildeten Pain Nurse geleitet werden, in der Entspannungsverfahren eingeübt, aber auch nicht medikamentöse Therapien wie Biofeedback und Aromatherapie angewandt werden.
Dies ist eng verbunden mit einem individuellen Behandlungsplan. Jeder Mensch ist mit seiner Lebensgeschichte einzigartig und muss in der Therapie auf dieser Ebene verstanden werden und sich verstanden fühlen. Hierbei ist gerade zu Beginn der Behandlung der Aufbau der therapeutischen Beziehungen von elementarer Wichtigkeit. Wir arbeiten in der Psychosomatik mit Patienten mit komplexer Traumafolgestörung und somatoformer Störung, die pathologische Bindungsmusteraufweisen, das heisst, dass sie Erfahrungen mit primären Bezugspersonen gemacht haben, die gewaltvoll oder ungünstig waren.
Es geht gerade am Anfang darum, einen Platz des Angenommenseins, des Willkommenseins zu schaffen. Eine Aufgabe,die in der Gestaltung des Stationsmilieus vom Pflegeteam kompetent wahrgenommen wird, wie auch in den ersten therapeutischen Gesprächen, die die Mitarbeiter aus dem ärztlichen und psychologischen Therapeutenteam führen. Die Grundlagen dieser Beziehungsarbeit beruhen auf der psychoanalytischen Theorie der beziehungsorientierten Selbstpsychologie von Michael Balint und Heinz Kohut. Es gilt weiterhin, das Positive der therapeutisch Gemeinschaft der Patienten zu nutzen, die auf den Stationen und in der Tagesklinik bezüglich Diagnosen, Alter und Geschlecht gemischt sind und in dieser Form voneinander profitieren. Das Gespräch mit den Mitpatienten hat in unserer poststationären Befragung einen hohenStellenwert. So kann die Isolation durchdie Erkrankung und deren eigene Wahrnehmung durch die Erfahrung, dass andere Patienten ähnliche Schwierigkeiten und Symptome haben und darunter leiden, verändert werden und eine Erfahrung der Solidarität und Aufhebung der Vereinzelung erfolgen.
Patienten profitieren von der Kombination aus Einzeltherapie und Gruppenangeboten
Dies findet Ergänzung in den neuen störungsspezifischen Gruppen, in denen der Austausch und die Behandlung der besonderen Symptome beziehungsweise des speziellen Krankheitsbilds für Verständnis und Entlastung sorgt.
In der Behandlung der Patienten mit stressinduzierten somatoformen Störungen und chronischen Schmerzstörungen liegt der Schwerpunkt auf Affektwahrnehmung und Affektdifferenzierung, das heißt Wahrnehmung der Emotionen und das korrekte Benennen der Gefühle. Patienten mit Schmerzerkrankungen leiden häufig unter einer sogenannten Alexithymie: Gefühle können nicht oder nur undifferenziert wahrgenommen werden. Hierbei profitieren die Patienten von der Kombination der Behandlung aus Einzel- und Gruppentherapie. Die Gruppenteilnehmerkönnen einander Feedback geben, schwierige Gruppenerfahrungen können wiederum in der Einzeltherapie im nachhinein besprochen oder auch Themen vorbereitet werden.
Neben der „Talking Cure“ kommt in den Modulen und Gruppen auch der körperbezogene Ansatz zum Tragen. Hier können in den Kreativtherapien wie Kunsttherapie, Musiktherapie und Körpertherapie nonverbale Erfahrungen gemacht und dann versprachlicht werden.
In den störungsspezifischen Gruppen werden neben der Psychoedukation auch Stabilisierungsmaßnahmen eingeübt. Hier kommen vor allem imaginative Verfahren zur Anwendung. Ziel ist, dass die Patienten vor der Traumakonfrontation genügend Möglichkeiten haben, Selbstregulation zu üben, um auch belastendes traumatisches Material bis zur Bearbeitung aushalten zu können. Gleichzeitig geht es in imaginativen Übungen um das Gefühl, eine gewisse Sicherheit zu erfahren und auszubauen. Vorübergehend können Hilfs-Ich-Funktionen auch von den Therapeuten und dem Team übernommen werden, aber Ziel istdie Möglichkeit des Patienten, auf das eigene Befinden Einfluss zu nehmen, und dieses zu regulieren. Dies kann jedoch nur in einem vertrauten und emotional geschützten Umfeld geschehen.
Je nach psychosozialer Belastung und Strukturlevel des Patienten wird zunächst dieser Bereich verbessert, und es kann in individueller Entscheidung eine Traumakonfrontation mittels z. B. EMDR (Eye Movement Desensitizitation and Reprocessing) stattfinden. Hierbei wird mittels bilateraler Stimulation (optisch oder haptisch) die Traumaverarbeitung der Patienten verbessert, unter den kontrollierten Bedingungen einer dualen Aktivierung der traumatischen Vergangenheit und der Gegenwart im Hier und Jetzt. Dies fördert die Verarbeitung des Traumas und die Speicherung der Erinnerung im expliziten Gedächtnis.
Für die Traumaverarbeitung müssen die Patienten jedoch eine gewisse Stabilität aufweisen. Hierbei gibt es auch deutliche Unterschiede, ob es sich um eine sogenannte Einmaltraumatisierung, z. B. einen Verkehrsunfall handelt, welche die Verarbeitungsfähigkeit des Individuums überfordert, oder um eine komplexe Traumatisierung, die den Patienten im Kindesalter trifft bzw. anhaltende Traumata wie Folter oder sexualisierte Gewalt. Nach erfolgreicher Traumakonfrontation beginnt eine Zeit der Reintegration des Geschehens. In der Psychotherapie spielen hierbei zeitliche Faktoren eine Rolle, sodass dieser Teil auch häufig im ambulanten Setting weitergeführt wird.
Ich bin überzeugt, dass wir mit diese erweiterten Modell als Psychosomatische Klinik und als multiprofessionelles Team die Möglichkeit haben, im stationären und teilstationären Rahmen Patienten bei der Bearbeitung ihrer Erkrankungen nachhaltig zu helfen.
Dr. med. Susanne Krebs
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