Prof. Elke Jäger im Porträt – 30 Jahre im Kampf gegen Krebs
Seit 30 Jahren prägt Prof. Dr. med. Elke Jäger die Klinik für Onkologie und Hämatologie am Krankenhaus Nordwest. Drei Jahrzehnte, in denen es bei den therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten für Tumorpatienten gewaltige Fortschritte gegeben hat – auch dank Jägers Engagement.
Kann man Onkologen mit Sportlern vergleichen? Durchaus, sagt Prof. Dr. med. Elke Jäger (61) – nämlich mit einer Ruder- Mannschaft: „Die gewinnt nur dann, wenn sich das Team aufeinander einlässt, im selben Takt auf ein gemeinsam definiertes Ziel hinrudert und den Kommandos des Steuermanns folgt. Und das ist es, was Sie auch in der Onkologie machen müssen.“ Jäger muss es wissen: Seit 30 Jahren engagiert sie sich in der Klinik für Onkologie und Hämatologie am Krankenhaus Nordwest, zunächst als Oberärztin, seit 2003 als Chefärztin. Drei Jahrzehnte, in denen sich die Einrichtung zu einer der größten und bedeutendsten Onkologie- Kliniken im Rhein-Main-Gebiet entwickelt hat. Seit 2009 ist sie zusammen mit dem Universitätsklinikum Frankfurt onkologisches Exzellenzzentrum, gefördert von der Deutschen Krebshilfe.
Ein Wachstum, das eng mit der Entwicklung der Onkologie zusammenhängt. Als sie Mitte der 1980er-Jahre in der Mainzer Universitätsklinik ihre Facharztausbildung im Bereich Innere Medizin begonnen habe, „da gab es das Fach Onkologie gar nicht“, erinnert sich Jäger. Damals arbeitet die angehende Internistin in der Klinik für Gastroenterologie und begegnet dort auch Menschen, die schwer an Magenkrebs oder Dickdarmkrebs leiden. Sie erlebt bei Visiten immer wieder, dass Mediziner gerade um diese Patienten lieber einen Bogen machen, weil sie ihnen kaum Therapien anbieten können. Schließlich bedeutet die Diagnose Krebs im fortgeschrittenen Stadium in jenen Jahren, dass die Betroffenen den Tod vor Augen haben. Die Not dieser Patienten lässt der jungen Ärztin keine Ruhe. Als ein damaliger Oberarzt 1992 ans Krankenhaus Nordwest wechselt, um hier als Chefarzt die Klinik für Onkologie aufzubauen, geht sie mit als Oberärztin. Dabei hat sie gerade erst ihre Facharztausbildung abgeschlossen: „Für mich war das ein großer Karriereschritt.“ Und nicht nur das: Elke Jäger bringt in jenen Monaten auch ihr zweites Kind zur Welt. Kinder haben und als Medizinerin arbeiten – das sei in ihren Anfangsjahren eigentlich unmöglich gewesen, sagt sie. Es gibt kaum Krippen, Elternzeit ist ein Fremdwort. Nur zu gut erinnert sie sich an die Reaktion ihres früheren Chefs in Mainz, als dieser von ihrer ersten Schwangerschaft erfährt: „Mädchen, siehst du hier irgendeine Mutter in meinem Team?“
Doch die junge Frau, die aus einer Mainzer Arztfamilie stammt und bei Abschluss ihres Studiums mit 24 Jahren Deutschlands jüngste Ärztin ist, lässt sich nicht entmutigen. Schon als Kind sei sie zu Leistungsbereitschaft erzogen worden, sagt sie. „Das steckt einfach in mir drin.“ Bei jeder ihrer drei Schwangerschaften arbeitet sie „bis in den Kreißsaal hinein“ und kehrt nach acht Wochen Mutterschutz wieder in die Klinik zurück. „Weil ich diesen Beruf unbedingt machen wollte“, erklärt Jäger. Dank der Unterstützung der Familie und guter Betreuung, die sie für ihre Kinder organisiert, gelingt ihr das.
In Frankfurt stürzt sie sich voller Enthusiasmus in die Arbeit. Setzt sich für die Schaffung einer onkologischen Ambulanz und einer Palliativstation ein. „Wir waren das erste Krankenhaus in Hessen, das 1996 eine Palliativstation eröffnet hat.“ Eine Abteilung, die der ausgebildeten Palliativmedizinerin besonders am Herzen liegt. Dass etliche ihrer Kollegen den Tod als Versagen empfinden, kann sie nicht nachvollziehen: „Sterben ist ein wichtiger Teil des Lebens. Das entsprechend zu gestalten, die Menschen dabei zu begleiten, das erfüllt mich.“
In den folgenden Jahren erlebt sie, wie sich die Möglichkeiten in der Krebstherapie allmählich verbessern – auch dank des klinisch-immunologischen Forschungslabors im Krankenhaus Nordwest, für eine nicht-universitäre Klinik eine durchaus ungewöhnliche Einrichtung. Hier kann sie unter anderem Immunreaktionen untersuchen, die einzelne Krebspatienten gegen Tumore entwickeln, und daraus antigenspezifische Immuntherapien erzeugen – ein Fachgebiet, in dem sie sich 1997 habilitiert. Inzwischen werde das im
Krankenhaus Nordwest auch als Therapie angeboten, sagt sie: „Dafür kommen Menschen aus der ganzen Welt zu uns.“
Trotz der Fortschritte erlebt sie Anfang der 2000er-Jahren immer wieder, wie niedergedrückt viele Tumorpatienten sind: „Die Leute haben zu Hause traurig auf dem Sofa gesessen, sie haben sich nicht gefreut über die besseren medizinischen Möglichkeiten.“ Elke Jäger, seit ihrer Kindheit begeisterte Sportlerin, beginnt zu grübeln: Vielleicht könnte Bewegung eine Möglichkeit sein, die Betroffenen wieder aufzubauen? So startet sie eine Kooperation mit dem Institut für Sportmedizin, wo man zunächst skeptisch ist. Training für schwer kranke Krebspatienten – wie soll das funktionieren? Lohnt sich das überhaupt? Aber die Onkologin, die sich auch politisch engagiert und das hessische Onkologiekonzept mit vorbereitet hat, lässt nicht locker. Ihre Idee: Eine Gruppe mit 20 Betroffenen, die dreimal pro Woche in kontrolliertem Rahmen Sport treibt, in kleinen Einheiten mit wenig Belastung.
Schon nach wenigen Wochen zeigen sich erstaunliche Erfolge: Nicht nur die Kondition der Menschen verbessert sich deutlich, sondern auch ihre Psyche, ihre Lebensqualität. Und: Therapiemaßnahmen wirken deutlich besser. Erkenntnisse, die mittlerweile zum Standardwissen in der Onkologie gehören. Heute gebe es für die Tumorpatienten am Krankenhaus Nordwest zahlreiche Sportangebote, sagt Jäger – übrigens auch Rudern. Um das Sportprogramm zu finanzieren, gründet sie 2005 eine Stiftung unter dem Titel „Leben mit Krebs“. Diese unterstützt inzwischen noch andere Aktivitäten. Etwa die Reihe „Kunst zum Leben“ in Zusammenarbeit mit dem Städel-Museum, in der Teilnehmer auch künstlerisch tätig werden können.
Seit einigen Jahren widmet sie sich noch einem weiteren Thema: Wie können Menschen mit den existenziellen Krisen umgehen, die die Diagnose Krebs auslösen kann? Zwar hätten Onkologen heute „ein Feuerwerk an therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten“, sagt sie. Doch Sorgen, Zweifel und Ängste der Betroffenen kämen dabei oft zu kurz. Aber, so Jäger, „wenn ich diese Fragen als Patient nicht stellen kann, dann kann ich auch keine Hoffnung haben“. Genau das will sie mit der Vortragsreihe „Um Leben und Tod, Hoffnung und Mut“ ändern, die die Stiftung Hospital zum Heiligen Geist seit 2017 zusammen mit anderen Veranstaltern an der Evangelischen Akademie Frankfurt organisiert.
Den Patienten als Gesamtpersönlichkeit zu sehen und sich gut um ihn zu kümmern, das treibe sie an, sagt die Chefärztin. So sehr, dass sie 2005 sogar einen Ruf an die Universität Heidelberg ablehnt, wo sie die Leitung des ersten Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen übernehmen soll. Ein begehrter Posten. Doch sie ahnt, dass damit auch viel politische Arbeit verbunden ist und dass ihr kaum noch Zeit bleiben würde für die Krebskranken. Ihre Absage hat sie nie bereut. Auch wegen der optimalen Arbeitsbedingungen am Krankenhaus Nordwest: „Ich kann mir kaum einen Ort vorstellen, wo man besser Onkologie betreiben kann. Das Haus hat alle Fachdisziplinen, dazu das Forschungslabor. Man hat hier alles, was man braucht.“
Prof. Dr. med. Elke Jäger
Fachärztin für Innere Medizin, Fachärztin für Hämatologie und Onkologie, Palliativmedizin
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