Krankenhaus Nordwest

Organerhalt – ein neuer Trend in der Onkologie

Lokale Therapiekonzepte finden gegenwärtig vermehrt Berücksichtigung in der Kuration von Tumoren, im Speziellen auch bei gastrointestinalen Tumoren. Ein bereits bekanntes Beispiel ist das Rektumkarzinom. Das lokal fortgeschrittene, nicht metastasierte Rektumkarzinom wird gewöhnlich mit einer Sequenztherapie behandelt, die aus einer neoadjuvanten Chemostrahlentherapie und der sich anschließenden Operation mit totaler mesorektaler Exzision und einer weiteren adjuvanten Chemotherapie besteht.

Bei der sog. „totalen neoadjuvanten Therapie“ (TNT) wird entweder entsprechend der Daten der vor kurzem publizierten „RAPIDO- Studie“ nach einer Kurzzeitbestrahlung, eine 18-wöchige Doubletten-Chemotherapie (FOLFOX/CAPOX) verabreicht und danach operiert oder wie in der aktuell gezeigten „OPRA-Studie“ eine konventionelle 5-Fu basierte Radiochemotherapie um eine 16- bis 18-wöchige Doubletten- Chemotherapie (FOLFOX/ CAPOX) ergänzt, ebenfalls als Block vor der Operation oder eine „Organerhaltung“ bei kompletter Remission ohne Operation durchgeführt. Die Rate an kompletten Remissionen im Rahmen von diesen Studien und einer weiteren ähnlichen französischen Studie (PRODIGE-23) war verdoppelt im Vergleich zu den klassischen Therapien, sodass in der Zusammenschau aller genannten Studien (RAPIDO, PRODIGE-23, OPRA) die TNT als präferierte neue Therapieoption bei Patienten mit einem lokal weit fortgeschrittenen Rektumkarzinom gelten darf. Die mit Hilfe des Instituts für Klinische Forschung (IKF) in Deutschland an den Start gebrachte AIO-/ARO-/ACO-18.1- Phase 3-Studie vergleicht nun im Grunde die Konzepte der „RAPIDO“ und „OPRAStudie“ und wird u. a. auch im Krankenhaus Nordwest angeboten mit Chefarzt PD Dr. van Kampen als Principal Investigator. Deutschlandweit rekrutiert die Studie rasant.

Auch in dieser Studie ist Organerhalt im Falle der Komplettremission sowie vice versa die Operation nach kompletter Remission möglich. Zertifizierte Darmkrebszentren, die an der ACO/ARO/AIO- 18.1-Studie teilnehmen und die Mindestvorgabe von mindestens 20 operativen Primärfällen beim Rektumkarzinom nicht erreichen, können Studienpatienten, die sie im Datenfeld „Watch and Wait“ führen, zu den operativen Primärfällen hinzuzählen. Die gezeigten Konzepte/Studien weisen die Zukunft des Organerhalts, der nun nicht nur bspw. beim Analkarzinom, wo es ja seit Jahren Standard ist, zum Einsatz kommt.

Weitere neue Studien aus dem eigenen Hause stammend, die in Deutschland durchgeführt werden und in die gleiche Richtung weisen, sind die PEARLDIFER – Gallengangsmalignom und die PRESTOAdenokarzinomen der Ösophagus-Studie. Bei Patienten mit intrahepatischem cholangiozellulärem Karzinom kommen in bis zu 16 Prozent sog. FGFR2-Fusionen vor. Diese Fusionen können mit einer zugelassenen Therapie, dem Pemigatinib, zielgerecht behandelt werden und führen zu einer Verdreifachung des Überlebens von Patienten in dieser Entität. Bei der sog. „PEARLDIFER- Studie“ handelt es sich um eine Phase-II-Studie mit Pemigatinib in Kombination mit stereotaktischer Bestrahlung als definitive organerhaltende Therapie kombiniert mit einer Erhaltung aus Pemigatinib bei lokal fortgeschrittenem intrahepatischem Cholangiokarzinom, welche FGFR2-Fusionen/Rearrangements aufweist. Diese Studie hatten wir bereits in unseren letzten Artikel zu Gallengangstumoren vorgestellt. Ganz neu ist nun die „PRESTO-Studie“.

PRESTO-Studie – Organerhalt für Adenokarzinome des Ösophagus im Frühstadium

Bei der sog. „PRESTO-Studie“ geht es ebenfalls um Organerhalt durch kombinierte Immuntherapie mit Durvalumabbasierter Therapie in Kombination mit Induktionschemotherapie und Chemoradiation als definitive Therapie für Adenokarzinome des Ösophagus im Frühstadium, cT1 und cT2N0 (einschließlich Adenokarzinome des gastroösophagealen Übergangs). Diese Studie trifft den Zahn der Zeit. Beim Speiseröhrenkrebs, typischerweise beim Plattenepithelkarzinom, werden häufig lokal nicht mehr resektable Tumoren aufgrund ihrer Ausdehnung und Lage radiochemotherapiert.

In der „PRESTO-Studie“ erfolgt nun bei frühem noch heilbaren Adenokarzinomen deutschlandweit eine Therapie mit der bekannten durch Prof. Al-Batran am Krankenhaus Nordwest entwickelten und mittlerweile als internationaler Standard genutzten FLOT-Chemo plus zusätzliche Radiochemotherapie, um den lokalen Tumor zu sterilisieren, kombiniert mit einer Immunchemotherapie (IO), die für ein Jahr auch nach erfolgter Induktions-FLOT und Radiochemotherapie im Falle einer kompletten pathologischen Remission fortgeführt wird.

Die sogenannte IO-Therapie wird mittels dem eingangs erwähnten Durvalumab durchgeführt. Durvalumab ist ein sog. Checkpointinhibitor und wird zur Immuntherapie eingesetzt. Der Antikörper bindet spezifisch an den Liganden von PD-1 und ist somit ein PD-L1 (programmed cell death ligand 1)-Antikörper. PD-L1 interagiert mit PD-1 (programmed cell death protein 1) und CD80 (Lymphozyten-Aktivierungsantigen) und hemmt dadurch die Aktivität von T-Zellen (zytotoxische Aktivität, Proliferation, Produktion von Zytokinen).
Dies ist ein Mechanismus der Tumorzellen, um sich gegen das körpereigene Immunsystem zu schützen (Immunevasion). Durch Durvalumab werden die Wechselwirkung von PD-L1/PD-1 und PD-L1/ CD80 unterdrückt sowie Proliferation und Aktivität von T-Zellen gegenüber Tumorzellen (antitumorale Antwort) verstärkt. Ziel dieser Phase-II-Studie ist es, zu untersuchen, ob eine definitive organerhaltende Therapie, bestehend aus der Kombination von Durvalumab mit Induktionssystemtherapie und Chemoradiation, eine effiziente und sichere Behandlungsoption für das Adenokarzinom des Ösophagus T1-T2N0 darstellt.

Die Ergebnisse von Patienten mit Adenokarzinomen des Magens und des ösophagogastrischen Übergangs (GEJ) sind nach wie vor unbefriedigend, und wie die schlechten 5-Jahres-Überlebensraten von 24–84 Prozent zeigen, stellen selbst frühe Stadien hochgradig tödliche Malignome dar. Bislang gilt die chirurgische Resektion als Eckpfeiler der kurativen Behandlung von Patienten mit Ösophagus-Adenokarzinom (EGA) im Frühstadium, ist jedoch mit einer erheblichen Sterblichkeit (4–10 Prozent), schwerer Morbidität und einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität der Patienten verbunden.

Die Landmark-CROSS-Studie (Chemoradiotherapie für Speiseröhrenkrebs, gefolgt von einer Operation) sowie mehrere Studien mit perioperativer Chemo(radio)therapie haben gezeigt, dass eine Operation mit neoadjuvanter Therapie gegenüber einer alleinigen Operation von Vorteil ist, insbesondere bei lokal fortgeschrittenem EGA im Stadium III. Ein pathologisch komplettes Ansprechen (pCR) wurde bei 16–29 Prozent der Patienten erreicht, die sich nach einer neoadjuvanten Chemo(radio)therapie einer Resektion unterzogen,
und die 5-Jahres-Gesamtüberlebensrate war im Vergleich zur alleinigen Operation um das bis zu 1,6fache verbessert. Obwohl die erwartete pCR-Rate unter perioperativer Chemoradiotherapie bei EGA im Frühstadium noch höher ist, ist der tatsächliche Nutzen aufgrund der seltenen Präsentation und des Fehlens spezieller randomisierter Studien noch unbekannt. Für lokal fortgeschrittene EGA hat die Landmark FLOT4-Studie von Prof. Al-Batran kürzlich gezeigt, dass die perioperative Behandlung mit dem FLOT-Triple dem früheren SOC-Backbone ECF/ECX überlegen war. Darüber hinaus wurde das FOLFOX-Behandlungsregime (Fluorouracil plus Leucovorin und Oxaliplatin) als alternative Behandlungsoption zu Fluorouracil plus Cisplatin im Rahmen der Chemoradiotherapie für Patienten mit lokalisiertem Speiseröhrenkrebs identifiziert.

Immunonkologische Therapie vielversprechender Ansatz

Jüngste Studien deuten darauf hin, dass eine immunonkologische Therapie, die auf Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) wie das programmierte Zelltodprotein 1 (PD-1) abzielt, ein neuer vielversprechender Ansatz für die Behandlung von fortgeschrittenem EGA ist. Da es immer mehr Belege dafür gibt, dass ionisierende Strahlung und in gewissem Maße auch Chemotherapie die Infiltration tumorspezifischer T-Zellen verstärken und gleichzeitig die PD-1/PD-L1-Expression in der Mikroumgebung des Tumors hochregulieren können, gibt es gute Gründe für die Kombination von PD-1/PD-L1-Inhibitoren mit Chemo(radio)therapie. Diese Rationale wird durch Daten unterstrichen, die zeigen, dass der PD-L1 Expressionsscore nach einer Chemoradiotherapie bei Plattenepithelkarzinomen des Ösophagus signifikant anstieg. In der Tat wurden kürzlich in den neuen Landmark- Studien KEYNOTE-590 und der CHECKMATE-649 vielversprechende und zur Zulassung führende Ergebnisse für die Kombination von Pembrolizumab oder Nivolumab mit Chemotherapie als Erstlinienbehandlung bei fortgeschrittenem EGA erzielt. Beide Studien zeigten außerdem, dass etwa die Hälfte der Ösophagus- und GEJ-Karzinome PD-L1-CPSWerte von 10 oder höher aufweisen. Eine aktuelle Studie, in der eine neoadjuvante Chemostrahlentherapie mit adjuvantem Durvalumab kombiniert wurde, einem weiteren PD-L1-gerichteten Antikörper, der für die Konsolidierungstherapie nach einer Chemostrahlentherapie bei inoperablem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs im Stadium III zugelassen ist, zeigte eine klinisch bedeutsame Verbesserung des rezidivfreien 1-Jahres-Überlebens im Vergleich zur historischen Kontrollrate bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem Ösophagus- und GEJ-Krebs.

Mit den erheblichen Verbesserungen in der Wirksamkeit der neoadjuvanten und perioperativen Protokolle sollten Zeitpunkt und Notwendigkeit der Ösophagektomie bei Patienten nach Anwendung der neoadjuvanten systemischen Chemo-(Radio-) Therapie und der IO-Therapie neu überdacht werden. Insbesondere in sehr frühen Stadien ist eine definitive Therapie ohne Operation bei einer definierten Untergruppe von Patienten eine Option, um operationsbedingte Nebenwirkungen und Komplikationen zu vermeiden, die es zu untersuchen gilt. Die Patientenpopulationen, die für diesen Ansatz von Interesse sind, sind Patienten mit einem Adenokarzinom der Speiseröhre im Frühstadium, klassifiziert als T1 oder T2N0, die 27–34 Prozent der Patienten mit Magen- und GEJ-Krebs ausmachen, die in chirurgischen Abteilungen vorgestellt werden. Da die Wirksamkeit einer Chemotherapie in Kombination mit einer ICI-Behandlung bei Patienten mit PD-L1-exprimierenden Tumoren und/oder Mikrosatelliteninstabilität günstiger ist, wären Patienten mit Magen- und GEJ-Karzinomen im Frühstadium, die einen PD-L1-CPS ? 1 und, aber nicht zwingend, einen hohen MSI-Status aufweisen, besonders, aber nicht ausschließlich, gut geeignete Kandidaten für die aktuelle Studie.

Im Rahmen dieser Studie schlagen wir einen „chirurgischen Eingriff nach Bedarf" (Salvage Surgery) nach Abschluss einer Hauptbehandlungsphase vor, die aus einer Chemoradiation in Kombination mit einer Durvalumab-Immuntherapie besteht. Eine chirurgische Resektion würde nur denjenigen Patienten angeboten, bei denen eine lokoregionale Persistenz stark vermutet oder nachgewiesen wird und bei denen es keine Anzeichen für eine Fernausbreitung gibt. Eine solche organerhaltende Strategie hätte eindeutig große Vorteile. Unsere Hypothese ist, dass unser Konzept der traditionellen Chirurgie in drei Punkten überlegen ist:

  1. keine chirurgische Mortalität und Morbidität,
  2. bessere systemische Wirkung und
  3. bessere Lebensqualität.

Daher werden die Ergebnisse dieser Studie eine Begründung dafür liefern, die Notwendigkeit einer Standard-Ösophagektomie bei Patienten nach Anwendung einer IO-Therapie und einer Induktionschemotherapie mit FLOT, gefolgt von einer CRT/ IO-Therapiekombination, zu überdenken und zu untersuchen.

Die intensive Studientätigkeit wird die Prognose unserer Patienten verbessern. Wir sind gut gewappnet mit einer Reihe an eigeninitiierten Studien, die in der Lage sind, aktuelle Fragen zu beantworten, im Sinne unserer Patienten.

Stv. Leitung

Prof. Dr. med. Thorsten Götze

Telefon
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