Stiftung Hospital zum Heiligen Geist

Digitalisierung – Fluch und Segen zugleich

Schon seit Jahren sind Krankenhäuser bestrebt, ihre Prozesse zu digitalisieren und vom geliebten Papier loszukommen – und hinken wie so oft in der IT anderen Industrien deutlich hinterher.

Das Krankenhaus-Zukunftsgesetz (KHZG) hat mit einer Förderung von in Summe 4,3 Mrd. Euro eine starke finanzielle Unterstützung gegeben. Trotz dieser positiven Entwicklung sieht es allerdings so aus, als würden durch das KHZG die etablierten KIS-Hersteller weiter gestärkt und kleine innovative Start-ups benachteiligt. Gleichzeitig ist zu bemerken, dass der Markt mit Anbietern überschwemmt wird, die bislang mit dem Gesundheitswesen kaum Berührungspunkte hatten.

Der Fokus beim KHZG liegt auf medizinischen Anwendungen und der Informationssicherheit. Dringend benötigte Investitionen in die grundlegende Infrastruktur oder eine Digitalisierung von Verwaltungsprozessen sind davon nicht erfasst. Die in Aussicht stehenden Mittel sind daher zwar ein guter Schritt, aber trotz allem nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Auf die Stiftung Hospital zum Heiligen Geist entfallen Fördermittel von etwa 6 Mio. Euro. Damit sollen u. a. ein Patientenportal für die digitale Interaktion mit Patienten vor einem Krankenhausaufenthalt, ein Kommissionierungsautomat für die Apotheke sowie ein Informationssicherheits-Management- System zur Verbesserung der Informationssicherheit finanziert werden.

Alle Maßnahmen und Projekte sind Bausteine auf dem steinigen Weg zur vollständigen Digitalisierung. Die Komplexität lässt sich dabei z. B. anhand eines einfachen Formulars betrachten. Die Überführung von Papierformularen in digitale Dokumentation ist wesentlicher Bestandteil der Digitalisierung. Allerdings gilt nach wie vor der vielzitierte Ausspruch von Thorsten Dirks, seinerzeit Vorstandsvorsitzender der Teléfonica Deutschland: „Wenn Sie einen scheiß Prozess digitalisieren, haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.“ Digitalisierung gelingt also nicht einfach so, sondern muss sorgfältig, gemeinsam und unter Aufgabe althergebrachter Verhaltensweisen und -muster angegangen werden.

Was sind die typischen Probleme bei der Digitalisierung von Formularen?

  • In der Regel sind solche Formulare vor Urzeiten entstanden, veraltet und werden nur teilweise/schlecht/uneinheitlich ausgefüllt/genutzt; Formulare sollten daher nie 1:1 digitalisiert werden – das scheitert eher; stattdessen sollte sich der Dokumentationsprozess angeschaut werden.
  • Oftmals ist auf der Fachseite gar nicht 100-prozentig klar, wie die Felder eines Formulars genau ausgefüllt werden sollen, oder aber die Felder sind nicht eindeutig ausfüllbar; z. B. kommt es häufig vor, dass Auswahlmöglichkeiten nicht disjunkt zueinander sind, was zu uneindeutigen Erfassungen führt (der eine interpretiert es so, der andere anders); das sollte in der digitalen Welt nicht wiederholt werden.
  • Auf dem Papier hat jeder die Berechtigung, jeden Eintrag zu tätigen; digital sollte das möglichst über Berechtigungen differenziert werden.
  • Auf einem Papierformular können an beliebigen Stellen Ergänzungen vorgenommen werden und Informationen aller Art überall erfasst werden, das ist digital nicht mehr möglich.
     

Was ist bei der Digitalisierung von Formularen zu bedenken?

  • Datenintegrität: In der digitalen Welt muss unbedingt vermieden werden, dass Inkonsistenzen entstehen, weil Daten z. B. an mehreren Stellen redundant erfasst werden.
  • Layout: Das Layout eines Formulars sollte bei der Digitalisierung immer überarbeitet werden, da sich häufig bei der digitalen Erfassung andere, elegantere und automatisierte Möglichkeiten der Erfassung ergeben; insb. ist zwischen einer Erfassungsmaske und einer etwaigen Druckversion zu unterscheiden.
  • Auswertbarkeit: Man sollte immer eine mögliche Auswertbarkeit mit berücksichtigen, d.h. überlegen, ob Freitexterfassungen wirklich nötig sind oder durch vorgegebene Listen/Auswahlfelder ersetzt werden können.
  • Vereinfachung: Es sollte immer z. B. über Textbausteine, vorgefertigte Auswahllisten etc. nachgedacht werden, die die Erfassung erleichtern.
  • Prozess: Ziel der digitalen Erfassung sollte immer auch eine Effizienzsteigerung sein. Der Erfassungsprozess muss daher mit betrachtet werden; je nachdem, wo die Papierformulare erfasst werden, müssen Erfassungsmöglichkeiten geschaffen werden (z. B. Terminals); sobald ein Formular von mehreren Personen befüllt wird, ist es nicht trivial, den Workflow digital abzubilden (wichtig ist immer der Trigger, d. h. was triggert, wer wann womit dran ist; ein Papierformular dient in der physischen Welt häufig als Token, das müsste digital abgebildet werden).
  • Schnittstellen: Medizingerätedaten oder Daten aus anderen Subsystemen, die bereits digital vorliegen, müssen in ein Formular einfließen; häufig liegen die Daten aber z. B. kontinuierlich vor, im Formular muss dann aber ein spezifischer Zeitpunkt abgebildet werden – auch das ist nicht zwingend trivial.
  • Verantwortlichkeiten: Es muss bedacht werden, wer verantwortlich ist für welche Felder in einem Formular; z. B. darf eine Pflegekraft ja (eigentlich) keine Anordnung/Verordnung dokumentieren, dem muss über Berechtigungen entsprochen werden.
  • Standards: Wenn es Fachgruppenstandards gibt, die von der Hausversion abweichen, oder es hausübergreifend verschiedene Versionen der gleichen Formulare gibt, so müssen diese im Rahmen der Digitalisierung angeschaut und idealerweise vereinheitlicht/angepasst werden.
  • Qualität: Digital ergibt sich immer die Möglichkeit, z. B. mit Pflichtfeldern eine gewisse Qualität und auch Vollständigkeit in der Erfassung zu erwirken, das sollte ebenfalls bedacht werden.
  • Kosten: Digitalisierung kostet Geld. Häufig ergibt sich leider nur in wenigen Fällen aus einer Digitalisierung eine nachweisliche Einsparung in der Gewinnund Verlustrechnung. Häufig werden daher Business Cases „schöngerechnet“ und der monetäre Nutzen überschätzt. Stattdessen ist Digitalisierung zunehmend ein Wettbewerbsvorteil, nicht nur für die Akquise von Patienten, sondern auch von Mitarbeitern. Digitalisierung sollte daher idealerweise als Eckpfeiler der Unternehmensstrategie verstanden den häufig schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zum Trotz.
  • Datenschutz: Schutz vor der missbräuchlichen Verarbeitung personenbezogener Daten sowie dem Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Dementsprechend sind Maßnahmen zu ergreifen, welche die digitalen Daten vor unberechtigter Einsicht und Weitergabe schützen.


Wie kann die Digitalisierung von Formularen gelingen?

  • Ohne eine intensive Beteiligung der Fachseite und einem Verständnis der obigen Punkte kann eine Digitalisierung von Formularen nicht wirklich gelingen.
  • Für eine Vereinheitlichung oder auch Veränderung von Formularen muss es eine fachliche Instanz geben, die schlussendlich entscheidet, welche Fassung verwendet werden soll; in Verbünden/ Ketten gibt es dazu z. B. etablierte Fachgruppen, die sich auch um SOPs (Standard Operation Procedure) etc. kümmern.
  • Es müssen vor der Digitalisierung immer viele ausgefüllte Exemplare angeschaut und analysiert werden, um zu sehen, wie die Formulare genutzt werden.
  • Idealerweise wird das Thema durch einen Projektleiter/eine Projektleiterin orchestriert (der/die zwischen Fachseite und IT vermitteln kann).

Um also ein Formular zu digitalisieren, müssen viele Hausaufgaben erledigt werden, in weiten Teilen von der Fachseite und natürlich auch von der IT. Zudem ist zu beachten, dass die IT zwar „Werkzeug“ im Sinne von Hard- und Software liefert, die Prozesse und Workflows allerdings im jeweiligen Fachbereich geklärt und optimiert werden müssen. Mit der einfachen Anschaffung von IT-Komponenten ist es also in der Regel nicht getan.

Neben den Formularen gibt es natürlich viele weitere Facetten der Digitalisierung. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind durch die mobile Arbeit von zu Hause aus und durch Videokonferenzen am Rande mit der Digitalisierung konfrontiert worden. Die plötzliche massenweise Auslieferung von Headsets, Kameras, Laptops, die Ausweitung der dafür nicht ausgelegten Infrastruktur auf die mobilen Heimarbeitsplätze mussten in kurzer Zeit gestemmt werden. Und natürlich funktionieren viele Prozesse noch nicht reibungslos. Individuelle Wünsche von allen Seiten und auf allen Ebenen führen zu einer komplexen Infrastruktur, der Aufwand für die Aufrechterhaltung des Betriebs steigt mit jeder nicht standardisierten Lösung.

Zusätzlich steigen mit der wachsenden Digitalisierung die grundsätzlichen Anforderungen an die Infrastruktur (Bandbreite, Verfügbarkeit von Netzwerk und Strom, Ausfallsicherheit) sowie an die Informationssicherheit. Der Schutz vor Schadsoftware wie Viren, Würmen und Trojanern vor Datendiebstahl, vor Datenmanipulation, vor unbefugtem Zugriff auf Daten, vor Spam/Phishing-Angriffen sowie vor den mittlerweile dramatisch zunehmenden Ransomware-Angriffen wird immer wichtiger. Das verhältnismäßig harmlose Beispiel eines Internetausfalls am 25.10.2021 hat einmal mehr aufgezeigt, wie vulnerabel die heutige Infrastruktur geworden ist.

Gleichzeitig werden Krankenhäuser gezwungen, sich kontinuierlich zu verbessern und die Wirtschaftlichkeit immer mehr in den Fokus zu rücken, um die wirtschaftlich schwierige Situation zu meistern. Der Kelch des „kollektiven Spardrucks“ geht dabei auch nicht an der IT vorüber. Die IT sieht sich also bei allen Digitalisierungswünschen auch einem Spardruck ausgesetzt – ein Spagat, der kaum zu schaffen ist.

Die Krankenhäuser befinden sich bzgl. IT-technischer Fachkräfte in einem offenen Wettstreit mit den KIS-Herstellern, Software- Anbietern und Systemhäusern. Das betrifft die Attraktivität des Arbeitgebers, die Weiterbildungsmöglichkeiten, das Gehaltsgefüge, die Karrierechancen, die zur Verfügung stehenden Mittel im Rahmen der Arbeit und vieles mehr. Die Value Proposition einer Krankenhaus-IT steht daher auf immer wackeligeren Füßen. Die kaum zu beantwortende Frage lautet also, was einem ITler von heute geboten werden kann, seine Tätigkeit im Krankenhaus aufzunehmen. Denn die kommenden Digitalisierungsprojekte müssen mit entsprechenden personellen Ressourcen unterfüttert werden.

Fazit: Digitalisierung ist ein komplexes Unterfangen und kann letztendlich nur gelingen, wenn gegenseitig Verständnis aufgebracht wird und alle an einem Strang ziehen.

Dr. Rajendra Persaud

Leiter der IT

Dr. Michael Schroth

Teamleiter Applikation und stv. Leiter der IT

Daniel Mittag

Teamleiter IT-Betrieb