Krankenhaus Nordwest

Das Prostatakarzinom – Ein Krebs mit vielen Gesichtern, aber auch vielen Therapiemöglichkeiten

Das Prostatakarzinom ist in Deutschland mit etwa 65.200 Neuerkrankungen im Jahr die häufigste Krebserkrankung des Mannes. (1) Exzellente Heilungschancen bietet die Therapie der Erkrankung in frühen Krankheitsstadien. Im Zuge verbesserter Diagnostik, insbesondere der gezielten Prostatastanzbiopsie auf Grundlage einer multiparametrischen Magnetresonanztomographie (MRT), ergeben sich bei früher Entdeckung der Erkrankung auch mehrere Möglichkeiten der Behandlung.

Entscheidend für eine individuell angepasste und risikoadaptierte Therapie ist eine suffiziente Beratung des Patienten und seiner Angehörigen in einer interdisziplinären Prostatakarzinomsprechstunde. Hier werden die Ergebnisse der Bildgebung, die histopathologischen Befunde und, sofern vorhanden, Resultate weiterführender molekularpathologischer Untersuchungen mit dem Patienten ausführlich besprochen, um eine möglichst maßgeschneiderte Therapieentscheidung treffen zu können. Im folgenden Artikel sollen etablierte und innovative Therapieverfahren zur Behandlung des lokal-begrenzten Prostatakarzinoms kurz erläutert werden.

Aktive Überwachung
Die aktive Überwachung ist eine leitlinienkonforme Option zur Behandlung bzw. engmaschigen Kontrolle von Patienten, die mittels MRT fusionsbasierter Prostatastanzbiopsie den Nachweis eines Niedrig- Risiko-Prostatakrebs erhalten haben. Der PSA Wert sollte unter 10ng/ml sein und es sollte nur eine Prostatahälfte vom Tumor befallen sein (max. zwei Biopsien, cT1-cT2a). Aktuell wird in Studien geprüft, ob nicht auch Patienten der mittleren Risikogruppe mit günstiger Prognose (ISUP Grad 2) für eine aktive Überwachung in Frage kommen. Ergebnisse hierzu werden in naher Zukunft erwartet. Im Rahmen der aktiven Überwachung werden in festgelegten Zeitintervallen PSA- und auch MRT-Kontrollen gemacht; nach etwa 12 Monaten erfolgt eine erneute Biopsie der Prostata, um eine mögliche Progression der Erkrankung frühzeitig zu erkennen. Im weiteren Verlauf sind dann bei stabilen Befunden zunächst keine weiteren Biopsien nötig.

Kontrolliertes Beobachten reicht mitunter aus

 

Basierend auf den Daten der PROTECT Studie, einer prospektiv randomisierten Studie zum Vergleich der aktiven Überwachung, der Radikalen Prostatektomie und der Radiotherapie bei Patienten mit Niedrig- Risiko-Prostatakrebs ließ sich kein Unterschied im 10-Jahresüberleben nachweisen.2

Fokale Therapie des Prostatakarzinoms
In den letzten Jahren konnten sich, nicht zuletzt durch verbesserte bildgebende Verfahren und somit auch genauere Tumorlokalisation, fokal-ablative Therapien bei der Behandlung des lokal-begrenzten Prostatakrebs mit guter oder günstiger intermediärer Prognose etablieren. Insbesondere durch ein deutlich positiveres Nebenwirkungsprofi l im Vergleich zu den aktuellen Standardverfahren (Radiotherapie oder Radikale Prostatektomie) gewinnen sie vor allem für Betroffene an Bedeutung. Anzumerken ist jedoch, dass bei fehlenden prospektiv randomsiertkontrollierten Studien nur bedingt Aussagen über Unter- oder Überlegenheit einzelner Verfahren im Vergleich zum Goldstandard möglich sind. Nichtsdestotrotz gibt es bereits einige Studien, die die onkologische Wirksamkeit fokal-ablativer Verfahren belegen.

Grundsätzlich haben fokale Therapien stets das Ziel, Tumore gezielt in einem Teilbereich des befallenen Organs und in gleicher Qualität zu einer radikalen Therapie zu behandeln, ohne dabei gesundes Nachbargewebe zu schädigen, um auf diese Weise therapieassoziierte Nebenwirkungen zu reduzieren.3,4

Verschiedene thermische und nicht-thermische Verfahren, teils mit MRT Thermometrie, stehen zur Verfügung. Eine Übersicht von Tabrizi und Peters et al. stellt die in Deutschland am häufigsten angewendeten Methoden vor.5

Aktuell sind bereits zwei thermische Verfahren am Krankenhaus Nordwest etabliert. Erstens die fokale Kryoablation, d. h. die Tumordestruktion durch Vereisung.Hierbei werden spezielle Nadeln in das tumortragende Areal inseriert und nachfolgend durch einen Wechsel von Argonund Heliumgasinsuffl ation das Tumorareal vereist und wieder aufgetaut. Durch diesen Prozess kommt es zur Denaturierung von Proteinen und Zerstörung von Zellmembranen sowie Stillstand der Durchblutung mit Einleitung einer konsekutiven Apoptose. Dieser Prozess lässt sich durch Ultraschall und Entstehung eines sog. „Iceballs“ kontrollieren (Abbildungen oben). Zweitens die MRgFUS (Magnetresonanztomographie gesteuerte fokussierte Ultraschalltherapie). Hierbei wird der Tumor unter Steuerung und Überwachung im MRT mittels Hitze zerstört. Letzteres Verfahren wird in enger Zusammenarbeit der Abteilung für Urologie und der Abteilung für Radiologie (Prof. Markus Düx) angeboten.

Ein weiteres vielversprechendes nichtthermisches Verfahren ist die photodynamische Therapie (VTP „Vascular-Targeted Photodynamic therapy“ oder TOOKAD®). Das Prinzip beruht auf der Anregung eines Photosensibilisators durch Licht entsprechender Wellenlänge. Hierbei entstehen hoch reaktive Sauerstoff spezies, die zu einer Oxidation von lokalen Lipiden oder Proteinen führen und das Zielgewebe zerstören. Es kommt zu einer Okklusion der tumorversorgenden Gefäße innerhalb der Prostata.6 Auch dieses Verfahren soll in Kürze am Krankenhaus Nordwest mit ins Portfolio der fokal-ablativen Therapien des Prostatakarzinoms aufgenommen werden.

Nur den tumortragenden Teil der Prostata therapieren – eine probate Behandlung bei gut ausgewählten Patienten

 

Für fokal-ablative Verfahren kommen grundsätzlich Patienten mit einem niedrigen bis mittleren Risikoprofi l (ISUP Grad 1 bis 2) und einem PSA Wert <15ng/ml in Frage. Das Alter zum Zeitpunkt der Diagnose stellt kein spezielles In- oder Exklusionskriterium dar.

Eine Beratung des Patienten in einer für Prostatakarzinomerkrankungen und Fokaltherapie spezialisierten Klinik ist unerlässlich und dringend vor der Wahl einer Behandlung anzuraten.

Minimal-invasive, roboterassistierte radikale Prostatektomie
Mittlerweile hat sich die robotisch-assistierte radikale Prostatektomie als Standardverfahren zur operativen Therapie des lokal-begrenzten Prostatakarzinoms aller Risikogruppen (Niedrig- bis Hochrisiko) etabliert. Nur in bestimmten Ausnahmesituationen oder bei Kontraindikationen, z. B. fu?r die notwendige Kopftiefl agerung, ergibt sich noch für wenige Patienten die Indikation zur off enen, retropubischen Radikaloperation. In Studien konnte die onkologische Sicherheit der roboterassistierten im Vergleich zur offenen Operation gezeigt werden mit jedoch häufi g deutlichen Vorteilen hinsichtlich der Krankenhausliegedauer (ca. 5,5 Tage) und geringeren Blutverlusten sowie Transfusionsraten (<0,5 Prozent).7 Insgesamt sind, in Abhängigkeit der Expertise des Operateurs, sicherlich auch verbesserte funktionelle Ergebnisse bei der roboterassistierten Prostatektomie zu erreichen – wobei dies häufig noch kontrovers diskutiert wird.
Mehrere systematische Metaanalysen belegen diese Zusammenhänge eindrücklich, wobei auf den fehlenden Charakter einer prospektiv randomisierten Studie hingewiesen sei.

Zu benennen sind die Vorteile der roboterassistierten Prostatektomie in Hinblick auf die Erektions- und Kontinenzfunktion – sicherlich entscheidende Lebensqualitätsparameter fu?r die Betroff enen. Auch am Krankenhaus Nordwest wird mittlerweile mit dem Da Vinci-Robotersystem operiert – insbesondere der interdisziplinäre Ansatz macht dieses System zur Erfolgsgeschichte. Mit der robotergestützten Technik können nämlich nicht nur Urologen, sondern auch Abdominalchirurgen, Gynäkologen und Thoraxchirurgen unsere Patienten verbessert behandeln. Schlussendlich ist die minimal-invasive und in der Fortsetzung die roboterassistierte Chirurgie unter heutigen modernen und innovativen Gesichtspunkten aus vielen Gebieten der Medizin nicht mehr wegzudenken. Moderne Verfahren sind aus ökonomischer Sicht häufig für Krankenhausträger zunächst nicht rentabel, jedoch zeigt sich auch hier in Studien, dass die Kostenstruktur für derartige Verfahren nach Absolvieren der Lernkurven deutlich reduziert werden kann.8

Letztlich stellt sich auch die ethische Frage, ob ein nachweislich für den Patienten besseres Verfahren, sofern es die Indikationsstellung zulässt, nicht als primär operatives Verfahren angesehen werden sollte.

Intensitätsmodulierte Radiotherapie (IMRT)
Die perkutane Strahlentherapie stellt nach aktuellem Standard eine Alternative zur Operation und aktiven Überwachung bei Patienten mit lokal-begrenztem oder lokal-fortgeschrittenen Prostatakarzinom dar. Im Regelfall werden hierbei heutzutage die applizierten Dosen auf 74–80 Gy eskaliert, was in Bezug auf das onkologische Outcome eine Verbesserung im Vergleich zu den früher üblichen 64–72 Gy zeigte. Der Behandlungszyklus beträgt im Normalfall etwa 7–9 Wochen, wobei unter bestimmten Voraussetzungen auch die moderat hypofraktionierte Strahlentherapie (Behandlungsdauer etwa 4–6 Wochen) mit Betroffenen diskutiert werden kann. Letztlich müssen bei der Abwägung zum Therapieentscheid die Endpunkte Rezidivfreiheitsrate bzw. Gesamtüberleben als auch die Daten zu den verschiedenen Nebenwirkungsprofilen kritisch und im besten Falle interdisziplinär diskutiert werden.

1 Arndt V, Dahm S, Kraywinkel K. Krebsprävalenz in Deutschland 2017: Anzahl der Cancer Survivors basierend auf Daten bevölkerungsbezogener Krebsregister. Onkol. August 2021;27(8):717–23.
2 Hamdy FC, Donovan JL, Lane JA, Mason M, Metcalfe C, Holding P, u. a. 10-Year Outcomes after Monitoring, Surgery, or Radiotherapy for Localized Prostate Cancer. N Engl J Med. 13. Oktober 2016;375(15):1415–24.
3 de la Rosette J, Ahmed H, Barentsz J, Johansen TB, Brausi M, Emberton M, u. a. Focal therapy in prostate cancer-report from a consensus panel. J Endourol. Mai 2010;24(5):775–80.
4 Donaldson IA, Alonzi R, Barratt D, Barret E, Berge V, Bott S, u. a. Focal Therapy: Patients, Interventions, and Outcomes–A Report from a Consensus Meeting. Eur Urol. 26. September 2014;1–7.
5 Faraj Tabrizi P, Peters I. Fokale Therapie des lokal begrenzten Prostatakarzinoms. Journal Onkologie. 26. April 2021.
6 Kimm SY, Tarin TV, Monette S, Srimathveeravalli G, Gerber D, Durack JC, u. a. Nonthermal Ablation by Using Intravascular Oxygen Radical Generation with WST11: Dynamic Tissue Effects and Implications for Focal Therapy. Radiology. Oktober 2016;281(1):109–18.
7 Basiri A, de la Rosette JJ, Tabatabaei S, Woo HH, Laguna MP, Shemshaki H. Comparison of retropubic, laparoscopic and robotic radical prostatectomy: who is the winner? World J Urol. April 2018;36(4):609–21.
8 Burgess SV, Atug F, Castle EP, Davis R, Thomas R. Cost Analysis of Radical Retropubic, Perineal, and Robotic Prostatectomy. J Endourol. Oktober 2006;20(10):827–30.

Zur Person

Prof. Dr. med. Inga Peters war mehr als 12 Jahren als Urologin an der Medizinschen Hochschule Hannover (MHH) tätig. Ihre Facharztweiterbildung startete sie im Jahre 2007 zunächst in der Abteilung für Neurochirurgie der Universitätsklinik Bonn, bevor sie dann im Jahre 2010 die Weiterbildung zur Urologin an der MHH begann. Hier folgten nach Erhalt der Facharztreife im Jahre 2014, die Venia legendi für das Fach Urologie im Jahr 2015 und die Ernennung zur apl. Professorin im Jahre 2021. Ihre klinischen Schwerpunkte sind neben der Uroonkologie, die robotisch-assistierte Chirurgie sowie die Fokaltherapie von urologischen Tumoren. Als Geschäftsführende Oberärztin, Leiterin des Prostatakarzinomzentrums und der Probase Studie (Standort Hannover) konnte Prof. Peters neben reichlich Führungserfahrung auch profunde Erkenntnisse in Hinblick auf ökonomische Belange eines Krankenhauses erlangen. Insbesondere der Teamgeist und der kollegiale Austausch spielen für sie im Erreichen von Zielen eine eminente Rolle.

Chefärztin

Prof. Dr. med. Inga Peters

Fachärztin für Urologie, Medikamentöse Tumortherapie

Telefon
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E-Mail fehlau.isabella(at)khnw(dot)de