Hospital zum Heiligen Geist

Alterstraumatologie – Rasche Mobilität und nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität nach Unfällen im Alter

Der demografische Wandel in Deutschland stellt die Unfallchirurgie aufgrund der steigenden Zahl von Patienten im Alter über 75 Jahren vor große Herausforderungen. Lag beispielsweise die Anzahl der neu aufgetretenen hüftgelenksnahen Frakturen im Jahr 1995 noch bei 122 pro 100.000 Personen, so betrug sie im Jahr 2010 bereits 157 pro 100.000 Personen und wird für das Jahr 2030 doppelt, wenn nicht dreifach so hoch eingeschätzt. Aber nicht nur hüftgelenksnahe Frakturen sind in diesem Zusammenhang problematisch, auch Frakturen des Schultergelenks, des Handgelenks und der Wirbelsäule sind typische Frakturen des Alters nach sogenannten „Bagatelltraumen“, nicht selten mit akuten oder chronischen Begleiterkrankungen sowie mit vorbestehender Osteoporose. Die Alterstraumatologie trägt diesen komplexen Zusammenhängen Rechnung.

Einschneidende Bewegungseinschränkungen können nach unversorgten bzw. konservativ behandelten Frakturen beispielsweise der Schulter oder des Handgelenks eintreten. Neue Studien konnten hier zeigen, dass die operative Versorgung einer Fraktur des Handgelenks bei Patienten über 70 Jahren einen Vorteil in den klinischen Ergebnissen (Bewegungsumfang, Kraftentwicklung) und in radiologischen Kriterien gegenüber der geschlossenen Reposition und konservativen Gipsbehandlung hat.

Schulternahe Frakturen sind im Alter sehr häufig und bedingen nicht selten einen massiven Einschnitt in der eigenständigen Haushaltsführung. Durch die operativen Verfahren der schultererhaltenden Plattenosteosynthese, aber auch der Implantation einer Schulterprothese kann dem entgegengewirkt werden. Viele Studien bestärken den deutlichen Vorteil der operativen Behandlung gegenüber einer konservativen Behandlung, die meist zur vollständigen Immobilität der Schulter führt.

Schmerzfreiheit ist meist nur operativ zu erreichen

Schmerzfreiheit ist nicht nur im Alter ein vorrangiges Ziel der ärztlichen, pflegerischen und physiotherapeutischen Behandlung. Diese ist meist nur operativ zu erreichen – vor allem bei Osteoporosebegünstigten Wirbelkörperfrakturen. Komplikationsarme Eingriffe wie z. B. die Kyphoplastie  (minimal-invasives Aufrichten des Wirbels durch einen Ballon, anschließend Einspritzen von Knochenzement) bringen Stabilität, sofortige Mobilisierbarkeit und nicht selten sofortige Schmerzfreiheit.

Die fortschreitende Immobilität, z. B. aufgrund von hüftgelenksnahen Frakturen, steigert die Sterblichkeitsrate deutlich. Selbst bei optimaler Versorgung liegt diese noch bei zehn Prozent. Ohne Versorgung liegt diese dementsprechend höher. Zudem erhöht sich hier auch insbesondere das allgemeine Komplikationsrisiko, z. B. das Auftreten von Thrombosen oder Lungenentzündungen.

Eine aktuelle große Studie, die eine Nachuntersuchung von ca. 1.000 Patienten aus sechs Kliniken mit einem Altersdurchschnitt von 85 Jahren über einen Zeitraum von 120 Tagen nach Versorgung von hüftgelenksnahen Frakturen verfolgt, zeigt eine Sterblichkeitsrate im Rahmen der stationären Behandlung von fünf Prozent. Die Sterberate nach 120 Tagen betrug 12 Prozent. Bei 54 Prozent der Patienten führte die Fraktur zu einer Verschlechterung der Mobilität. Nur 49 Prozent erhielten postoperativ eine medikamentöse Osteoporose-Therapie.

Diese und viele andere Daten zugrundeliegend, hat der Gesetzgeber in Form des gemeinsamen Bundesausschusses (gBA) des  Bundesgesundheitsministeriums – zusätzlich zu den bereits bestehenden, und durch viele Studien belegten, strengen Auflagen, die z.B. eine   Versorgung hüftgelenksnaher Frakturen innerhalb von 24 Stunden verlangen – nun eine neue Richtlinie erlassen, die das Behandlungsregime noch einmal deutlich verschärft.

Eine Vielzahl von Behandlungspfaden sind hierbei vorzuweisen, die unter anderem die genauen Behandlungsabläufe, die Auswahl der Operationsverfahren und die Vorbeugung vor Stürzen und Druckgeschwüren regeln. Auch altersspezifische, also geriatrische Fragestellungen sind
hierbei zu beachten. Die betagten Patienten benötigen in vielerlei Hinsicht eine besondere Behandlung, die gerade in Fragen der Mobilisierung  (besonders geschulte Physiotherapeut/-innen), aber auch im Hinblick auf die Behandlung des postoperativen Delirs, des Blutprodukte-Managements sowie die Behandlung der Harn- und Stuhlinkontinenz und vor allem dem Umgang mit Fragen der Einwilligungsfähigkeit dementer Patienten zu beachten ist und durch die Richtlinie geregelt wird.

Geriatrische Fragestellungen sind zu beachten

Erste Erhebungen dieser Maßnahmen gehen von einer Verringerung der allgemeinen Risiken und auch der Sterblichkeit um weitere 20 Prozent aus.

Selbstverständlich steigen durch die Vielzahl der operativen Eingriffe auch die Kosten, die in unserem Gesundheitssystem leider nur unzureichend  gedeckt werden. Gerade der alte Mensch benötigt neben der optimalen operativen Versorgung auch oft einen deutlich erhöhten Pflegeaufwand. Oft ist zudem noch eine Anschluss-Heilbehandlung erforderlich, die bei Patienten jüngeren Alters mit vergleichbaren Frakturen möglicherweise nicht erforderlich wäre.

Die daraus ableitbare Ansicht, die in vielen Ländern eine operative Versorgung von alten Menschen nicht zulässt, sollte stets kritisch hinterfragt werden. Selbst bei einer verschlechterten ökonomischen Lage des Gesundheitssystems muss der hohen Zahl an älteren Patienten Rechnung getragen werden. Eine operative Versorgung und eine altersgerechte Begleitbehandlung schaffen rasche Mobilität, nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität und damit auch Reduzierung der Behandlungskosten, die für die Behandlung von Komplikationen anfallen würden. Nicht zuletzt aus ethischen Gründen muss aber eine gerechte und fürsorgliche Behandlung unserer Eltern und Großeltern selbstverständlich sein, um dem Leben nicht nur mehr an Jahren, sondern den Jahren auch mehr an Leben zu geben.

Fazit
Mit den modernen Operationsverfahren und der begleitenden altersgerechten Allgemeinbehandlung lassen sich Patienten bis ins höchste Lebensalter hinein mobil halten und haben so die Möglichkeit, deutlich länger eigenständig zu sein. Zudem können begleitende Komplikationen verringert werden. Wichtig ist abschließend aber vor allem die Vorbeugung zur Verhinderung neuer Sturzereignisse und die konsequente Diagnostik und Therapie der Osteoporose im stationären Aufenthalt und darüber hinaus.

Leitender Oberarzt

Dr. med. Dennis Inglis

Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Facharzt für Chirurgie, EPZ-Koordinator (Endoprothetikzentrum), ABS-Experte (Antibiotic Stewardship), Hygienebeauftragter Arzt

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E-Mail anastasi.carmela(at)hohg(dot)de