Krankenhaus Nordwest

Onkologische Sport- und Bewegungstherapie – Auf dem Weg in die Regelversorgung

Medizinische Fortschritte verbessern zwar zunehmend die Prognose und die Überlebensdauer bei einer Krebserkrankung, dennoch stellen die Erkrankung und die Therapie eine hohe Belastung für Betroffene dar. Speziell die therapiebedingten hochsymptomatischen Nebenwirkungen und Folgen beeinträchtigen den psychophysischen Status sowie die soziale und berufliche Reintegration sowohl kurz- als auch langfristig. Supportiv-Maßnahmen kommt daher eine immer zentralere Rolle zu.

Mehr als 700 qualitativ hochwertige Studien belegen, dass regelmäßige körperliche Aktivität, speziell in Form von strukturierter, bedarfsorientierter Sport- und Bewegungstherapie, ein entsprechendes, hochwirksames Supportivum während und nach einer Krebstherapie darstellt. Beispielsweise können Patienten mit Bewegungstherapie selber aktiv dazu beitragen behandlungs- und krankheitsbedingte Belastungen wie die hochprävalente Fatiguesymptomatik sowie psychische und
physische Einschränkungen deutlich zu reduzieren oder sogar ganz zu verhindern und ihr Selbstvertrauen zu stärken. Zudem kann ein positiver Einfluss von Bewegungstherapie auf Kurz- und Langzeitkomplikationen wie periphere Polyneuropathie sowie Kardio-, Neuro-und Knochenmarkstoxizität angenommen werden. Die  vielfältigen biopsychosozialen Effekte von Bewegungstherapie führen nicht nur zu einer entscheidenden Verbesserung der Lebensqualität von Patienten sowie einer besseren  Verträglichkeit der onkologischen Therapien, sondern sie beeinflussen auch die Prognose, Therapie-Compliance, Rehabilitation, Rezidivprophylaxe und allgemeine  Gesundheitsförderung positiv.

Verschiedene Fachgesellschaften und Leitlinien wie z. B. die S3-Leitlinie zur Supportivtherapie und die Nationale Expertengruppe für Bewegung und körperliche Aktivität in der  Onkologie (NEBKO) der Deutschen Krebsgesellschaft betonen daher die Relevanz von Konzepten zur Bewegungsförderung und -therapie und fordern deren Integration in die  onkologische Regelversorgung. Bislang liegen allerdings national noch keine spezifischen Leitlinien zur onkologischen Bewegungstherapie oder von den Kostenträgern unterstützte Bewegungstherapie-Programme für Krebspatienten – mit Ausnahme der stationären und ambulanten Rehabilitation nach abgeschlossener Therapie – vor. Einzelne Arbeitsgruppen in Deutschland, zumeist angebunden an die onkologischen Spitzenzentren, bieten regional Bewegungstherapieprogramme an, allerdings basieren diese Pilot-Projekte überwiegend auf der Investition von Eigenmitteln und der Einwerbung von Drittmitteln und somit persönlichem Engagement.

Als eines der ersten Projekte bundesweit initiierte Prof. Dr. med. Elke Jäger bereits 2006 am Krankenhaus Nordwest die Integration von Bewegungstherapie in die Onkologie. Mit Hilfe von Fördermitteln wurde das Projekt in den Folgejahren kontinuierlich ausgebaut und um strukturierte Angebote in den Bereichen Bewegungsberatung, Trainingsplanung,
sportwissenschaftliche Diagnostik und ambulante Bewegungstherapie sowie mit qualifiziertem Personal (Sportwissenschaftler/-therapeuten) erweitert. Seit 2014 wird unter dem gemeinsamen Dach des Universitären Centrums für Tumorerkrankungen (UCT) auch das Universitätsklinikum Frankfurt mitversorgt. Orientiert am Forschungsstand und  Empfehlungen wurde ein (teil-)standardisierter Ablauf zur Beratung und Diagnostik mit einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Onkologie und Sportwissenschaft in die bewegungsbezogene Versorgung am Krankenhaus Nordwest und Universitätsklinikum integriert. Regelmäßig werden Informationsveranstaltungen, Workshops
und Aktivreisen umgesetzt, um möglichst viele Patienten zu erreichen und die Aufklärung von relevanten Berufsgruppen wie z. B. betreuenden Ärzten und Pflegepersonal als Wegweiser zur Bewegungstherapie zu verbessern. Jährlich organisiert und veranstaltet die Arbeitsgruppe medizinisch und therapeutisch betreute Aktivreisen zum Wandern und Skilanglauf für Krebspatienten mit rund 50 Teilnehmern in Kooperation mit der Stiftung Leben mit Krebs.

Integration in die Regelversorgung gefordert

Zur weiteren Versorgungs- und Strukturoptimierung wurde 2017 das Institut für onkologische Sport- und Bewegungstherapie als sportwissenschaftlich-onkologische Schwerpunkteinrichtung am Krankenhaus Nordwest gegründet. Ziel des Instituts ist es, neben der bewegungsbezogenen Versorgung und Forschung eine Grundlage für eine  nachhaltige und evidenzbasierte Bewegungstherapie nach hohen Qualitätsrichtlinien zu schaffen und im Netzwerk mit qualifizierten Kooperationspartnern die sportonkologische
Betreuung im Rhein-Main-Gebiet langfristig zu unterstützen. Aktuell sind drei Sportwissenschaftler unter der Team-Leitung von Dr. phil. Katharina Graf am Institut in der  Umsetzung sowie der strukturellen und inhaltlichen Weiterentwicklung der Arbeitsbereiche aktiv.

Seit Initiierung des Programms haben mehr als 1.500 Patienten mit unterschiedlichsten Tumordiagnosen, Krankheitsstadien und Therapieformen die Angebote und sportwissenschaftliche/-therapeutische Begleitung – häufig über mehrere Jahre – wahrgenommen. Nicht nur die durchweg positiven Patienten-Rückmeldungen, sondern auch angebotsbegleitende Beobachtungsstudien belegen das Potenzial des gewählten Versorgungsansatzes und liefern in Kombination mit den Praxiserfahrungen wertvolle Implikationen für die fortlaufende Optimierung der Patientenbetreuung. Das Angebot der onkologischen Sport- und Bewegungstherapie steht internen und externen Patienten
in fast allen Therapiephasen und Erkrankungsstadien offen und beinhaltet u. a. folgende Komponenten:

  • Personalisierte und bedarfsorientierte Bewegungsberatung für onkologische Patienten während und nach der Therapie
  • Erarbeitung eines spezifischen und individualisierten Bewegungs-/Trainingsplanes gemeinsam mit den Patienten und in interdisziplinärer Abstimmung sowie regelmäßige Anpassungen an den Therapieverlauf
  • Sportwissenschaftliche Diagnostik / Untersuchungen
  • 21 spezifische Bewegungstherapie- Angebote in Kooperation mit den hausinternen Gesundheitszentren wie dem TRIAMEDIS am Krankenhaus Nordwest (z. B. Kraft- und Ausdauertraining an Geräten, Nordic Walking, Yoga, Pilates, Rudern)
  • Bedarfsabhängig stationäres Training
  • Unterstützung bei der Suche nach wohnortnahen Angeboten/Trainingsmöglichkeiten und Vermittlung von Patienten an kooperierende Therapie-/Trainingseinrichtungen

Interdisziplinäre Zusammenarbeit, Netzwerke und Outreach-Aktivitäten sind essenziell für die Qualitätssicherung sowie die flächendeckende und therapiephasenübergreifende Versorgung in der onkologischen Bewegungstherapie.

Mit dem Ziel, möglichst vielen Patienten während und nach der Therapie in der Region Rhein-Main den Zugang zur supportiven Bewegungstherapie sowie einen schnellen Transfer neuer Forschungsresultate in die interdisziplinäre Versorgung zu ermöglichen, engagiert sich das Institut in den Bereichen Vernetzung und Outreach und ist  verantwortlich gestaltend aktiv in Fachgesellschaften wie der NEBKO. Als regionales Koordinationszentrum (OnkoAktiv Zentrum Rhein Main) wird in Kooperation mit dem  Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg bereits seit 2017 das qualitätsgesicherte Netzwerk OnkoAktiv e.V. mit ambulanten Anbietern aus den Bereichen  Bewegungstherapie, Physiotherapie und Gesundheitssport für die wohnortnahe Vermittlung und Betreuung von Krebspatienten aufgebaut. Gemeinsam mit dem organisierten Sport (Landessportbund Hessen, Deutscher Olympischer Sportbund) engagiert sich das Institut weiterhin für die Förderung qualitätsgesicherter Rehabilitationsmaßnahmen
und Gesundheitssportangebote von Sportvereinen sowie für Fortbildungen und Öffentlichkeitsarbeit im Bereich Onkologische Sport- und Bewegungstherapie.

Durch zwei aktuelle Förderzusagen wird die Arbeit des Instituts auch für die nächsten Jahre sichergestellt. Die Deutsche Krebshilfe fördert ab Frühjahr 2020 das von Prof. Jäger  und Dr. Graf gemeinsam beantragte Projekt zum Ausbau des kooperativen interdisziplinären Netzwerkes. Im Rahmen des Projektes soll durch die Erweiterung der Netzwerke und das Nutzen von Synergien die Sport- und Bewegungstherapie einem noch größeren Patientenkreis in der Rhein-Main-Region möglichst wohnortnah zugänglich gemacht werden. Nach einer umfassenden Beratung am Krankenhaus Nordwest können Patienten in den qualitätsgeprüften Kooperationseinrichtungen im Umkreis von ca. 100 km um Frankfurt ein spezifisches und individualisiertes Training umsetzen, wobei ein enger Informationsaustausch zwischen dem Koordinationszentrum, dem Kooperationspartner und den mitversorgenden Ärzten sowie den Patienten selbst besteht. Aktuell besteht das Netzwerk unter Koordination des Krankenhauses Nordwest aus zwanzig Einrichtungen.  Darüber hinaus sollen weitere onkologische Einrichtungen sowie niedergelassene Ärzte im Rahmen des Projektes unter anderem mittels Wandersprechstunden durch Instituts-Mitarbeiter unterstützt werden, um auch ihre Patienten hinsichtlich einer adäquaten Bewegungstherapie im Netzwerk beraten und vermitteln zu können.

Seit Initiierung des Programms haben mehr als 1.500 Patienten die Angebote und sportwissenschaftliche sowie -therapeutische Begleitung wahrgenommen

Im Frühsommer 2020 startet zudem die durch den Innovationsfond des Gemeinsamen Bundessausschusses (GBA) geförderte bundesweite Studie „INTEGRATION“, bei der das  Krankenhaus einer von elf konzipierenden und durchführenden klinischen Konsortialpartnern ist. Ziel der randomisiert-kontrollierten Studie ist die Evaluation der Effekte einer  kombinierten und bedarfsorientierten bewegungs- und ernährungstherapeutischen Intervention während einer onkologischen Therapie auf behandlungsassoziierte  Nebenwirkungen und den Therapieverlauf. Bei positiver Evaluation kann ein solcher personalisierter Interventionsansatz unter anderem aufgrund der Zusammenarbeit mit  Kostenträgern und Krankenkassen im Rahmen Innovationsfond-geförderter Projekte anschließend in die onkologische Regelversorgung überführt werden.

Zur weiteren Förderung der bewegungstherapeutischen Versorgung im Kontext Onkologie arbeiten die Mitarbeiter des Instituts auch bundesweit an der Konzeption und  Umsetzung von Informationsmaßnahmen und Projekten im Bereich der Versorgungsforschung sowie zur Zusammenarbeit mit Kostenträgern mit. Beispielsweise wurde durch die NEBKO im Juli 2019 ein Antrag für eine S3-Leitlinie „Onkologische Sport- und Bewegungstherapie“ im Leitlinienprogramm Onkologie gestellt, sodass im Erfolgsfall innerhalb weniger Jahre erste nationale Leitlinien unter Beteiligung des Instituts für onkologische Sport- und Bewegungstherapie konzipiert werden können.

Resümierend lässt sich festhalten, dass die onkologische Bewegungstherapie vor dem Hintergrund des biopsychosozialen Wirkpotenzials eine relevante unterstützende Maßnahme in der interdisziplinären onkologischen Versorgung darstellt. Am Krankenhaus Nordwest bestehen ein umfangreiches Beratungs- und Versorgungsangebot sowie interdisziplinäre Netzwerke im Bereich Bewegungstherapie für onkologische Patienten. Hinsichtlich der regionalen sowie bundesweiten Initiativen und Projekte ist die onkologische Bewegungstherapie auf einem vielversprechenden, jedoch sicherlich noch herausfordernden Weg ein von Kostenträgern unterstützter Bestandteil der onkologischen  Regelversorgung zu werden.

Chefärztin

Prof. Dr. med. Elke Jäger

Fachärztin für Innere Medizin, Fachärztin für Hämatologie und Onkologie, Palliativmedizin

Telefon
Fax (069) 769932
E-Mail fernandez.alicia(at)khnw(dot)de