Krankenhaus Nordwest

Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK)

Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) als wichtige Manifestation der systemischen Atherosklerose stellt mit weltweit über 200 Millionen Patienten und einer altersspezifischen Prävalenz eine bedeutende Erkrankung für das globale Gesundheitssystem dar. In Deutschland liegt die Prävalenz im unselektierten Patientengut im Alter ab 65 Jahren bei etwa 21 Prozent. Versicherungsdaten aus Deutschland zeigen jährlich 500 bis 600 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner. Besonders gefährlich ist diese Erkrankung, weil mit ihr auch ein hohes Risiko für Herzerkrankungen, abdominelles Aortenaneurysma sowie Schlaganfälle und damit eine hohe Sterblichkeit verbunden ist. Risikofaktoren für eine pAVK sind vor allem Rauchen und Diabetes.

Tab.1: Einteilung pAVK nach René Fontaine

Eine Einteilung der pAVK kann nach klinischen oder morphologisch-anatomischen Aspekten erfolgen, wobei sich in Deutschland die nach dem  französischen Chirurgen René Fontaine benannte Klassifikation im Alltag durchgesetzt hat (Tab. 1).

Als kritische Extremitätenischämie (auch: Critical Limb Ischemia, CLI) bezeichnet man das Stadium mit bestehenden Ruheschmerzen oder chronischen Wunden mit Gewebsverlust, welches mit einer deutlich schlechteren Prognose verbunden ist und deshalb in der Therapie eine  besondere Bedeutung darstellt. Bei der belastungsabhängigen Claudicatio intermittens (Schaufensterkrankheit) bilden das begleitete Gehtraining und die konsequente Optimierung der Risikofaktoren eine Grundlage für die optimale Therapie, welche sich als eine gleichwertige  Behandlungsoption im Vergleich zu den invasiven Verfahren zeigt. Darum werden die modernen „minimal invasiven“ interventionellen Verfahren und Devices in dem noch kompensierten pAVK-Stadium oft aufgrund der unzureichenden Evidenzbasis kontrovers diskutiert. Dagegen ist die  Anwendung der invasiven Therapieverfahren bei der CLI unumstritten, bei der der Beinerhalt und die damit einhergehende vitale Bedrohung der Patienten im Vordergrund stehen. Die Gesamtletalität von Patienten mit CLI beträgt 3,7 Prozent nach 30 Tagen, 17,5 Prozent nach einem Jahr und bereits 46,2 Prozent nach fünf Jahren.

Manifestationen der Atherosklerose
Die koronare Herzkrankheit (KHK), die Karotisstenose und das abdominelle Aortenaneurysma (AAA) gehören neben der pAVK zu den  Manifestationen der systemischen Atherosklerose. Infolge dieser systemischen Erkrankung kommt es in den betroffenen Arterien zu Verengungen oder Verschlüssen mit der Ausbildung von Kollateralkreisläufen und turbulenten Strömungen. Kommt es durch die atherosklerotischen  Veränderungen der MUDr./Uni Bratislava Milan Lisy, Ph.D., Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin am Krankenhaus Nordwest Gefäßwand zu einer Abnahme des distalen Blutflusses, spricht man von einer kritischen Arterienstenose. Die Wahrscheinlichkeit einer peripheren arteriellen Veränderung in verschiedenen Lokalisationen steigt mit dem Lebensalter und mit dem Vorliegen von kardiovaskulären  Hauptrisikofaktoren: Rauchen, Hypertonie, Fettstoffwechselstörung und Diabetes. Die Stärke des Zusammenhangs zwischen jedem Risikofaktor und dem jeweiligen Gefäßgebiet ist variabel. Wenn ein Gefäßgebiet von Atherosklerose betroffen ist, ist nicht nur das entsprechende Organ gefährdet (z. B. das Gehirn bei Stenosierung der A. carotis), sondern auch das Gesamtrisiko für jegliche kardiovaskuläre Ereignisse erhöht (z. B. koronare Ereignisse).

Diabetisches Fußsyndrom
Das diabetische Fußsyndrom (DFS) mit dem Symptomkomplex aus Gewebeverlust, Infektion und Neuropathien stellt eine besondere  Herausforderung dar. Hierbei kann die Polyneuropathie die Schmerzsymptomatik verschleiern und eine Mediasklerose der peripheren Arterien kann zu falsch hohen Messwerten in der Diagnostik führen. Sobald atherosklerotische Veränderungen mit einer hämodynamisch relevanten pAVK  hinzukommen, wird die Wundbehandlung limitiert und die Prognose signifikant verschlechtert. Man sollte dann wegen der Bedrohung von einer kritischen Extremitätenischämie sprechen.

Tab. 2: ABI-Kategorien zur Abschätzung des pAVK-Schweregrads

Symptome und Diagnostik
Die Symptome und Ausprägungen der pAVK sind vielfältig und richten sich maßgeblich nach dem Krankheitsstadium. Abhängig von der Lokalisation der Verengung und einer möglichen Kollateralisierung treten die belastungsabhängigen Beschwerden dabei im versorgten Stromgebiet auf. Typischerweise klagen Patienten mit Läsionen der Oberschenkeletage (A. femoralis superficialis) über eine Wadenclaudicatio. Ist die distale  Aorta oder die Aortenbifurkation betroffen, kommt es zu glutealen oder Oberschenkelschmerzen. Das Auftreten von Ruheschmerzen ohne jede Belastung kennzeichnet die kritische Extremitätenischämie, wobei eine diabetische Neuropathie zu einem stummen Verlauf führen kann. Oft findet sich bei der kritischen Extremitätenischämie auch eine blasse oder livide Extremität mit verzögerter oder aufgehobener Rekapillarisierung. Vor allem bei Befall der drei Unterschenkelgefäße kommt es in fortgeschrittenen Stadien nach traumatischen Verletzungen oder spontan zum Untergang von Hautgewebe, zu chronischen Wunden und Wundheilungsstörungen. Eine feuchte Nekrose oder eine Gangrän kann zu einem Befall des Knochens (Osteitis) oder  septischem Verlauf führen und bedarf daher einer dringenden Behandlung.

Neben der gewissenhaften Anamnese und klinischen Untersuchung inklusive Pulsstatus stellt die Dopplerverschlussdruckmessung (Tab. 2) das Fundament der vaskulären Stufendiagnostik dar. Ein Ankle-Brachial-Index (ABI, auch: Knöchel-Arm-Index) unter 0,9 gilt heute als beweisend für das Vorliegen einer pAVK und sollte zu einer kardio-neuro-vaskulären Umfelddiagnostik führen. Deutlich erhöhte ABI-Werte über 1,3 können  dagegen auf eine diabetische Mediasklerose hinweisen. Mittels farbkodierter Duplexsonographie (FKDS) kann der geübte Untersucher die Becken-Bein-Strombahn auf Verschlüsse und Flussbeschleunigungen hin untersuchen und so die Stenosegrade abschätzen. Goldstandard der invasiven Diagnostik ist die digitale Subtraktionsangiographie (DSA), bei der jodhaltiges Kontrastmittel oder bedarfsweise CO2 verwendet werden kann. Mittels DSA lassen sich  auch kleine Gefäße und Kollateralen bis in die distale Strombahn darstellen und durch die einliegende Schleuse besteht gleichzeitig die Möglichkeit einer interventionellen Revaskularisation.

Tab. 3: Stadiengerechte Behandlung der pAVK. (Modifiziert nach pAVK-Leitlinie S3)

Therapie der kritischen Extremitätenischämie und des diabetischen Fußsyndroms
Die Therapie der pAVK verfolgt primär eine Minimierung der Risikofaktoren, da die Prognose dieser Patientengruppe maßgeblich durch den natürlichen Verlauf der kardio-neuro-vaskulären Komorbiditäten (Myokardinfarkt, Schlaganfall, Herzinsuffizienz) bestimmt ist. Alle Patienten sollten daher einem begleiteten Gehtraining zugeführt werden. Darüber hinaus ist eine strikte Nikotinkarenz, Blutdruckeinstellung, die Gabe von  Thrombozytenaggregationshemmern und Statinen sowie die Behandlung einer KHK, Herz- oder Niereninsuffizienz von lebenswichtiger Bedeutung (Tab. 3). Patienten mit einem Diabetes mellitus sollten darüber hinaus interdisziplinär durch Gefäßmedizin, Diabetologie und Fußspezialisten betreut werden, wobei die peripher-vaskuläre Erkrankungskomponente primär durch die Gefäßmedizin betreut werden sollte.

Evidenzbasiert überlegen gegenüber dem überwachten Gehtraining ist aktuell nur die invasive Behandlung der kritischen Extremitätenischämie.  Primär sollte möglichst der Versuch einer endovaskulären Revaskularisation (ER) erfolgen, solange ein mindestens gleichwertiger Behandlungserfolg zum offen-chirurgischen Vorgehen erwartet werden kann. Femoropopliteale Bypässe sollten wenn möglich mit autologer Vene konstruiert werden (Abb. 1), Läsionen unterhalb des Knies sollten mittels Ballonangioplastie (PTA) und ggf. mittels optionalen Atherektomie oder ggf. Stentings ("Bailout") behandelt werden.

Abb. 1: Bypass-Implantation – hierbei wird eine autologe Vene als Gefäßersatz verwendet

Femoropopliteale Bypässe
Der Stellenwert beschichteter Stents (DES – drug eluting stent) und Ballons (DEB – drug eluting ballon) ist nicht abschließend geklärt. Zur  evidenzbasierten Therapieentscheidung bei kritischer Extremitätenischämie und diabetischem Fußsyndrom kann ein neu entwickeltes  Risikoklassifikationssystem (WIfI = Wound, Ischemia and foot Infection) hilfreich sein.

Postoperative Nachbetreuung
Alle Patienten mit einer pAVK sollten mit Thrombozytenaggregationshemmern (ASS – Aspirin und/oder Clopidogrel) periinterventionell bzw. perioperativ behandelt werden. Vorteile für eine orale Antikoagulation konnten in der Beurteilung aller Studien zur Rezidivprophylaxe nach  Bypassoperationen nicht nachgewiesen werden, während nach kardialer und arterieller Embolie und nach Lysebehandlungen arterieller  appositionsthrombotischer Verschlüsse eine solche empfohlen wird. Kombinationsbehandlungen mit vorübergehender dualer  Thrombozytenaggregationshemmung sind nach infrainguinaler endovaskulärer Therapie mit Stent, DEB oder PTA zu empfehlen. Falls ein infrapoplitealer Prothesenbypass angelegt werden muss, kann eine Kombinationsbehandlung aus ASS und oraler Antikoagulation bei einem hohen Risiko für einen Bypassverschluss verordnet werden. In der aktuellen COMPASS-Studie verglichen Forscher eine kombinierte Behandlung mit Rivaroxaban (2x2,5mg/Tag) plus ASS (100mg/Tag) mit ASS allein bei Patienten mit peripheren arteriellen Erkrankungen (pAVK) (n=7410). Die  kombinierte Behandlung konnte das Risiko für kardiovaskuläre sowie pAVK-spezifische Ereignisse wie schwere Gliedmaßenischämien und Amputationen dabei deutlich stärker reduzieren.

Ein strukturiertes gefäßmedizinisches Nachsorgeprogramm umfasst die regelmäßige Patientenbetreuung mit konsequenter Behandlung von  kardiovaskulären Risikofaktoren und Erfassung weiterer Behandlungsoptionen. Eine Duplexsonografie sollte in Intervallen zwischen drei und sechs Monaten stattfinden. Ein überwachtes Gehtraining bzw. der Einschluss in Gefäßsportgruppen gehört nach Gefäßeingriffen zur Basisbehandlung. Die primäre Therapie der kritischen Extremitätenischämie bei pAVK ist die endovaskuläre Revaskularisierung. Man muss allerdings wissen, dass  dieses Verfahren immer nur symptomorientiert ist und weder die Morphologie arteriosklerotisch vorgeschädigter Gefäße ändert noch den  arteriosklerotischen Progress verhindert. Es kann aber aufgrund des Mobilitätsgewinns zu einer langfristigen Prophylaxe führen. Zudem können ein frühzeitiges Erkennen der Arteriosklerose, die Optimierung der Risikofaktoren und die stadiengerechte Revaskularisierung schwere Ereignisse wie Myokardinfarkt, Schlaganfall oder Beinverlust verhindern.

Chefarzt

MUDr./Uni Bratislava Milan Lisy, Ph.D.

Facharzt für Herz- und Gefäßchirurgie

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