Hospital zum Heiligen Geist

Wechselendoprothetik – Wenn die Prothese nicht mehr hält

Der Einsatz von jährlich mehr als 400.000 künstlichen Hüft- und Kniegelenken gehört zu den häufigsten Operationen, die in Deutschland durchgeführt werden. Gleichzeitig steigt die Zahl der Patienten, die länger leben als ihre Gelenkprothesen intakt bleiben, was eine Wechseloperation erforderlich macht. Die Klinik für Orthopädie, Unfall- und Wirbelsäulenchirurgie am Hospital zum Heiligen Geist ist als Endoprothetikzentrum durch die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) zertifiziert. In der Klinik werden Prothesen sowohl implantiert als auch ausgetauscht.

DIE STIFTUNG:

Herr Dr. Forer, wie lange hält ein künstliches Gelenk?

Dr. med. Thomas Forer: » Laut einer jüngst veröffentlichten Studie der Universität Bristol in England halten die künstlichen Gelenke länger als bisher gedacht (Fachzeitschrift Lancet 2019; 393:647-654, 655-663). In der Studie wurden 500.000 Patienten aus ausländischen Implantatregistern wie Australien, Skandinavien und Neuseeland mit einem Beobachtungszeitraum von mindestens 15 Jahren ausgewertet. Hierbei waren ca. 90 Prozent der Hüftprothesen und Knieprothesen nach 15 Jahren noch intakt. Auch nach 25 Jahren waren noch mehr als die Hälfte der Implantate intakt. «

Und wie ist die Lage in Deutschland?

Dr. med. Thomas Forer: » Seit mehr als fünf Jahren gibt es nun auch in Deutschland ein Endoprothesenregister, das die Ursachen für einen eventuellen Misserfolg aufschlüsselt und klären soll, welche Merkmale für die neue Operation verantwortlich sind. Dank der regen Beteiligung vieler Kliniken ist schon jetzt eine beachtliche Datenmenge zusammengekommen. In diesem Zeitraum sind mehr als 500.000 Eingriffe erfasst worden. Sinnvoll verwertbare Ergebnisse werden aber wie in den anderen Ländern erst in einigen Jahren vorliegen. Die Patienten können aber davon ausgehen, dass die Haltbarkeit ähnlich ist wie in den genannten Ländern, da die Behandlungsqualität vergleichbar ist. «

Wann muss ein künstliches Gelenk ausgetauscht werden?

Dr. med. Thomas Forer: » Ein Revisionseingriff wird vor allem dann nötig, wenn es zu Lockerungen von Prothesenteilen kommt. Wir unterscheiden zwischen aspetischen Lockerungen ohne Infektionen und septischen Lockerungen, bei denen ein bakterieller Infekt zugrunde liegt. Wenn eine bakterielle Infektion vorliegt, muss das infizierte Gelenk vollständig ausgetauscht werden. Infektionen am künstlichen Gelenk sind zwar überaus selten, stellen aber das Hauptrisiko einer endoprothetischen Operation dar. Die Infektionsrate in direktem Zusammenhang mit der Operation liegt bei etwa 1–3 Prozent. Die überwiegende Anzahl der Infektionen sind sogenannte hämatogene Infektionen, welche der Patient im Laufe seines Lebens erleidet. Hierbei gelangen Bakterien durch Infektionen anderer Körperregionen wie Infektionen der Zähne oder der Harnwege über die Lymph- und Blutbahn zur Prothese und heften sich dort an. «

Welche Gründe gibt es noch?

Dr. med. Dennis Inglis: » Die individuelle Abnutzung und Lockerung der Prothese hängt von verschiedenen Faktoren wie Alter, Gewicht und Beanspruchung, aber natürlich auch von der Qualität des Gelenkersatzes ab. Gerade im Bereich des Kniegelenkes kann es im Laufe der Jahre oder nach Stürzen zur Instabilität der körpereigenen Bänder kommen, die für den Erhalt der Funktion maßgeblich sind. Bei Gelenkersatz, der bereits älter als 15 Jahre ist, kann auch Materialverschleiß eine Ursache sein. Es kann hier zu Abnutzungen zum Beispiel der Polyethylen-Komponenten kommen, die dann aber isoliert ausgetauscht werden können. Nicht immer muss also gleich ein großer Eingriff mit komplettem Wechsel stattfinden. «

Wird der Knochen durch die Prothese belastet?

Dr. med. Thomas Forer: » Ein korrekt implantiertes Gelenk passt sich dem Kraftfluss des Körpers an und unterstützt den Bewegungsablauf, schmerzfrei. Es kann aber sein, dass aufgrund eines Sturzes eine Fraktur auftritt. Hier wirkt ein Vielfaches der Körperschwerkraft auf das Gelenk, so dass mit oder ohne Prothese gleichermaßen eine Fraktur auftreten kann. Der Austausch der Gelenkprothese muss in diesem Falle erfolgen, wenn sie nicht mehr stabil im Knochen verankert ist. «

Und wenn die Prothese noch stabil ist?

Dr. med. Thomas Forer: » In diesem Fall kann es ausreichen, die Fraktur bei belassenem Kunstgelenk mit herkömmlichen, unfallchirurgischen Methoden zu versorgen, d.h. den eingerichteten Knochenbruch mit Platten, Schrauben oder Drähten zu stabilisieren. «

Gibt es Hinweise, wann ein künstliches Gelenk ausgetauscht werden sollte?

Dr. med. Dennis Inglis: » Erstes Leitsymptom ist immer der neu auftretende Schmerz im Gelenk. Ein künstliches Gelenk soll den Arthroseschmerz grundsätzlich vollständig beseitigen. Kommt es aber nach einer gewissen Zeit wieder zu Beschwerden, muss abgeklärt werden, ob etwas nicht stimmt. In diesen Fällen werden die Patienten angehalten, sich wieder in der Sprechstunde vorzustellen. Hier wird dann mittels aktueller Röntgendiagnostik sowie einer körperlichen Untersuchung festgestellt, ob das Gelenk selbst die Ursache für die Beschwerden ist oder, ob nicht auch andere Ursachen, wie ausstrahlende Wirbelsäulenbeschwerden, der Anlass sind. «

Wie geht es dann weiter?

Dr. med. Dennis Inglis: » Wir prüfen, ob die Beschwerden durch konservative Methoden, das heißt Krankengymnastik, Muskelaufbau und gegebenenfalls Gewichtsabnahme, behandelt werden können. Für die konservative Behandlung ist dann der niedergelassene Facharzt Ansprechpartner für die Patienten. Ist eine operative Behandlung erforderlich, also ein teilweiser oder kompletter Wechsel des Gelenkes, vereinbaren wir mit dem Patienten zunächst einen Termin zur sterilen Kniegelenkspunktion. Hier wird ambulant unter OP-Bedingungen Flüssigkeit aus dem Knie oder der Hüfte gezogen, die auf das Vorliegen einer Infektion untersucht wird. Ein wesentlicher Unterschied für die weitere Behandlung liegt in der Tatsache, ob bei der Lockerung Bakterien beteiligt waren oder nicht. In diesem Fall muss neben der Implantatlockerung vor allem die Infektion behandelt werden. «

Wie funktioniert der Austausch des Gelenks?

Dr. med. Thomas Forer: » Der stationäre Ablauf ist für den Patienten im Wesentlichen der gleiche wie bei der Erstimplantation, also dem erstmaligen Einbau der Gelenkprothese. Der operative Ablauf richtet sich dann natürlich nach der Ursache der Wechselnotwendigkeit. Bei gelockerten, nicht infektiösen Prothesen ist das Vorgehen in der Regel einfach. Die Komponenten werden entfernt und durch neue ersetzt, meist sind diese etwas größer. Wenn eine Infektion vorliegt, ist das Vorgehen komplexer. Tritt eine Infektion innerhalb von vier Wochen nach dem Einbau des Gelenkes auf, kann man eine Wundspülung durchführen, das infizierte Gewebe entfernen und die mobilen Prothesenteile austauschen. Ist der Abstand länger als vier Wochen zum Ersteingriff, muss sämtliches Prothesenmaterial inklusive des Zementes entfernt werden. In den meisten Fällen wird dann für einen Zeitraum von zwei bis sechs Wochen ein antibiotikahaltiger Platzhalter in Prothesenform eingebracht. Nach diesem Zeitraum ist dann eine weitere Operation nötig, um nach ausgeheilter Infektion ein neues Gelenk einzubauen. «

Warum ist das so umständlich?

Dr. med. Dennis Inglis: » Bakterien sind in der Lage, einen Schutzfilm (Biofilm, die Redaktion) um sich herum zu bilden, der nach etwa vier Wochen nicht mehr von Antibiotika durchdrungen werden kann. Die infizierten Prothesenkomponenten müssen dann vollständig entfernt werden. Zusätzlich wird für einen Zeitraum von insgesamt 12 Wochen eine Antibiotikatherapie verordnet, die sich nach dem verantwortlichen Keim richtet und zusätzlich die Fähigkeit hat, den noch unreifen Biofilm zu zerstören, der von gegebenenfalls verbliebenen Keimen erneut gebildet wird. «

Das klingt sehr belastend für den Patienten!

Dr. med. Dennis Inglis: » Das ist es auch. Die wichtigste Maßnahme gegen solche Gelenkinfektionen ist die konsequente Einhaltung höchster Hygienemaßstäbe bereits bei der Implantation. Hämatogene Infekte können wir in ihrer Entstehung wenig beeinflussen, die Abläufe im OP, die eine Infektion verhindern, hingegen schon. In beiden Fällen muss die Behandlung aber ebenso kompromisslos sein. Alle Mitarbeiter von der Reinigungskraft über den Studenten bis hin zum Chefarzt müssen dies wissen und beherzigen, um diesen „Worst Case“ zu vermeiden. Hierbei hat uns die Zertifizierung zum Endoprothetikzentrum sehr geholfen, weil die Klinikstruktur verbessert und die Durchdringung des Themas „Endoprothetik“ bei allen Mitarbeitern gesteigert wurde. «

Herr Dr. Inglis, kann in diesem Zusammenhang noch mehr getan werden?

Dr. med. Dennis Inglis: » Ja, durchaus. Der sachgerechte Umgang mit Antibiotika ist entscheidend für unseren Behandlungserfolg. Hausintern haben wir im Rahmen des Antibiotic Stewardship-Programmes die Voraussetzungen deutlich verbessert. Hierzu gehört zum Beispiel die Optimierung der Antibiotikaprophylaxe, die vor der Operation gegeben wird. Des Weiteren ist die Mitarbeiterschulung auch bei diesem Thema das Kernelement. Auch die Studenten, die nie in den chirurgischen Bereich gehen werden, sollen aus ihrer Zeit bei uns die korrekte Arbeitsweise in der Endoprothetik kennenlernen, damit sie diese in ihrer späteren Tätigkeit als Hausarzt umsetzen. «

Herr Dr. Inglis, kann in diesem Zusammenhang noch mehr getan werden?

Dr. med. Dennis Inglis: » Ja, durchaus. Der sachgerechte Umgang mit Antibiotika ist entscheidend für unseren Behandlungserfolg. Hausintern haben wir im Rahmen des Antibiotic Stewardship-Programmes die Voraussetzungen deutlich verbessert. Hierzu gehört zum Beispiel die Optimierung der Antibiotikaprophylaxe, die vor der Operation gegeben wird. Des Weiteren ist die Mitarbeiterschulung auch bei diesem Thema das Kernelement. Auch die Studenten, die nie in den chirurgischen Bereich gehen werden, sollen aus ihrer Zeit bei uns die korrekte Arbeitsweise in der Endoprothetik kennenlernen, damit sie diese in ihrer späteren Tätigkeit als Hausarzt umsetzen. «

Wie können Patienten einem Prothesenwechsel vorbeugen?

Dr. med. Thomas Forer: » Die beste Vorbeugung gegen einen frühzeitigen Wechsel ist eine gute Erstoperation. Damit Patienten die auch erhalten, sollten sie sich vorab informieren, wo sie den Eingriff durchführen lassen möchten. Wie viele künstliche Gelenke werden in der Klinik pro Jahr eingesetzt? Welche Erfahrungen haben andere Betroffene dort gemacht? Wie werden Patienten über den Eingriff und die möglichen Risiken aufgeklärt? Eine Entwicklung, die viele Betroffene positiv sehen, sind die kürzeren Klinikaufenthalte. «                                                                           
Dr. med. Dennis Inglis: » Auch wenn keine Beschwerden mit dem Kunstgelenk bestehen, so kann es doch auch noch nach vielen Jahren, wie bereits erwähnt, zu Infektionen der Prothese über den Blutweg kommen. Um das Risiko auch hier zu minimieren, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik zum Beispiel eine Antibiotikaprophylaxe bei größeren Zahneingriffen. Eine adäquate Therapie bei Darminfektionen, schweren Blasenentzündungen und anderen gelenkfernen Infektionen ist ebenso wichtig. Abschließend muss aber noch gesagt werden, dass der Verzicht auf Nikotin, die Gewichtsnormalisierung und die akkurate Einstellung eines Diabetes mellitus sowohl vor jeglicher Operation, als auch danach unverzichtbar sind, da gerade diese Faktoren das lebenslange Risiko für eine Infektion deutlich erhöhen. «

Herr Dr. Forer, Herr Dr. Inglis, vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Das Gespräch führte Brigitte Ziegelmayer.

Chefarzt

Dr. med. Thomas Forer

Leitender Oberarzt

Dr. med. Dennis Inglis

Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Facharzt für Chirurgie, EPZ-Koordinator (Endoprothetikzentrum), ABS-Experte (Antibiotic Stewardship), Hygienebeauftragter Arzt

Telefon
Fax (069) 2196 - 2068
E-Mail anastasi.carmela(at)hohg(dot)de