Antibiotic-Stewardship (ABS): Wichtiger Bestandteil aktueller Therapie- und Präventionskonzepte in der modernen Infektiologie
Multiresistente Erreger stellen ein jährlich wachsendes, medizinisches Problem dar. Allein für Deutschland geht das Bundesgesundheitsministerium von etwa 400.000 bis 600.000 Patienten aus, die sich jedes Jahr mit einem Klinikkeim infizieren. Schätzungen zufolge sterben alleine in Deutschland zwischen 10.000 und 15.000 Menschen an den Folgen von Infektionen. Ihre Behandlung wird durch die in vielen Bereichen rasant fortschreitende Resistenzentwicklung bakterieller Infektionserreger zunehmend erschwert.
Multiresistenz und Krankenhaus
Die Behandlung von Infektionen wird durch die in vielen Bereichen rasant fortschreitende Resistenzentwicklung bakterieller Infektionserreger zunehmend erschwert. Ein rationaler Einsatz von Antibiotika ist insofern notwendiger denn je, um die Segnungen der „magischen Kugeln“ auch noch für kommende Generationen zu erhalten. Und das, obwohl sich die infektiologischen Herausforderungen durch eine immer komplexer werdende Medizin mit ihren immer moderneren Behandlungsmethoden, den immer älter werdenden Patienten, den neuen invasiven und immunsuppressiven Verfahren, Organtransplantationen und dem Einsatz hochkomplexer medizinischer Fremdkörper (Gefäßprothesen, Gelenkersatz) ungebremst verschärfen und dabei immer häufiger in schwer behandelbare, infektiologische Kollateralschäden münden.
Spätestens seit der Kopenhagener Konferenz von 1998 über die „Mikrobielle Bedrohung“ und den Brüsseler EU-Ratsbeschlüssen zum „Verantwortungsvollen Umgang mit antimikrobiellen Substanzen in der Humanmedizin“ aus dem Jahre 2001 ist auch den politischen Entscheidern klar geworden, dass angesichts der weiter zunehmenden Antibiotikaresistenz, einer rationalen Verordnung von Antiinfektiva kombiniert mit modernen infektiologischen Diagnostik-, Präventions- und Behandlungskonzepten für Infektionskrankheiten eine absolute Schlüsselrolle bei der Funktionsfähigkeit moderner Gesundheitssysteme zukommt. Problematisch bleibt aber, dass trotz der Zunahme von schweren Infektionen durch multiresistente Erreger und dem fortbestehenden Mangel an neuen Antiinfektiva gleichzeitig ein Manko an klinisch geschulten Experten für die Diagnostik und Behandlung von Infektionserkrankungen in vielen Bereichen unseres modernen Gesundheitssystems besteht.
ABS-Kernstrategien
Mit Antibiotic-Stewardship (ABS) ist ein programmatisches nachhaltiges Bemühen medizinischer Institutionen und Einrichtungen um die Sicherstellung und stete Verbesserung der rationalen antiinfektiven Verordnungspraxis gemeint. Um diesen Prozess auf der Basis internationaler Forschungsergebnisse und medizinischer Empfehlungen optimiert zu gestalten, wurde schon 2013 unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI) eine AWMF-Leitlinie mit „Strategien zur Sicherung der rationalen Antibiotikaanwendung im Krankenhaus“ auf höchstem Evidenzniveau (S3-Leitlinie) verfasst und veröffentlicht. Entsprechend der Vorgaben der Leitlinie verfolgen die Mitglieder des ABS-Teams zur Optimierung des Antiinfektiva- Einsatzes und zur Vermeidung einer fortschreitenden Resistenzentwicklung vier wesentliche Kernstrategien:
Verbindliche Vorgaben im Sinne der Struktur Qualität
Es werden im Sinne der Strukturqualität verbindliche Vorgaben zu den im Haus Prof. Dr. med.
Klaus-Peter Hunfeld, Chefarzt am Zentralinstitut für Labormedizin, Mikrobiologie und Krankenhaushygiene, Ärztlicher Direktor des Krankenhauses Nordwest verfügbaren antibiotischen Substanzen, der lokalen Resistenzsituation angepasste Leitlinien-gerechte Vorgaben zum prophylaktischen und therapeutischen Einsatz von Antiinfektiva sowie Verschreibungsvorgaben bzw. auch Sonderrezepte zum Einsatz besonders reglementierter Substanzen erstellt.
Systematische beratung und Kontrolle
Als für den Erfolg wichtiges Element gelten die systematische Beratung und Kontrolle des Antibiotika-Einsatzes am Krankenbett, mit der Etablierung eines Konsiliardienstes und einer kritischen Überwachung der Umsetzung dieser Prozesse.
Optimierte Prozessqualität
Im Rahmen einer optimierten Prozessqualtität werden auf dem Gebiet der Infektionsprophylaxe und Behandlung regelmäßige Fort- und Weiterbildungen organisiert sowie wichtige Informationen in schriftlicher und elektronischer Form für die klinisch tätigen Ärzte bereitgestellt werden.
Überprüfung der Ergebnisqualität
Schließlich sollen im Sinne der Ergebnisqualität des ABS-Programms die Einflüsse und positiven Effekte anhand definierter Indikatoren (Resistenzstatistik, Antibiotikaverbrauch, Leitlinienadhärenz etc.) regelmäßig überprüft werden. Die auch von vielen Medizinern immer wieder geäußerte Sorge, dass durch den reglementierten Einsatz von Antiinfektiva die Behandlungsqualität der Patienten leiden könnte, ist inzwischen durch renommierte internationale Studien völlig widerlegt. Im Gegenteil führt der ABS-kontrollierte, optimierte Einsatz von Antiinfektiva bei der Behandlung von Krankenhausinfektionen zu einem besseren Outcome der Patienten, zur Verkürzung der Liegedauer und zu erhebliche Einsparung von Kosten.
Die auch von vielen Medizinern immer wieder geäußerte Sorge, dass durch den reglementierten Einsatz von Antiinfektiva die Behandlungsqualität der Patientenleiden könnte, ist inzwischen durch renommierte internationale Studien völlig widerlegt. Im Gegenteil führt der ABS-kontrollierte, optimierte Einsatz von Antiinfektiva bei der Behandlung von Krankenhausinfektionen zu einem besseren Outcome der Patienten, zur Verkürzung der Liegedauer und zu erhebliche Einsparung von Kosten.
Der ABS-kontrollierte Einsatz von Antiinfektiva führt zu einem besseren Outcome der Patienten und zur Verkürzung der Liegedauer
ABS in den Krankhäusern der Stiftung
Bereits kurz nach der Verabschiedung und Implementierung der S3-Leitlinie „Strategien zur Sicherung rationaler Antibiotikaanwendungen im Krankenhaus“ der Arbeitsgemeinschaft der Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) in 2013 begannen entsprechend den Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes und der Hessischen Hygieneverordnung die Vorbereitungen zur Implementierung eines eigenen ABS-Systems für die Stiftungskrankenhäuser. Ziel sollte dabei die Sicherstellung einer rationalen Antibiotikaanwendung im Krankenhaus Nordwest und im Hospital zum Heiligen Geist sein. Beide Krankenhäuser wurden in Bezug auf das ABS-Programm als eine Organisationseinheit betrachtet. Von der formal für die Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen verantwortlichen Geschäftsführung wurde daraufhin der Bereich Krankenhaushygiene des Zentralinstitutes für Labormedizin, Mikrobiologie und Krankenhaushygiene mit dieser Aufgabe betraut.
Durch die fachspezifische Ausbildung von ABS-Experten und die Gründung eines ABS-Teams sollte zudem sichergestellt werden, dass den Anforderungen zum rationalen Einsatz von Antibiotika als integralem Bestandteil einer Strategie zur Prävention der Entstehung und Ausbreitung resistenter Erreger im Krankenhaus und zum Erhalt der Wirksamkeit von Antibiotika Rechnung getragen wird. Ebenso sollte der Forderung des Infektionsschutzgesetzes nachgekommen werden, dass Krankenhäuser Daten zum Antibiotikaverbrauch unter Berücksichtigung der lokalen Resistenzsituation regelmäßig bewerten und sachgerechte Schlussfolgerungen hinsichtlich des Einsatzes von Antiinfektiva ziehen. Bei entsprechendem Anpassungsbedarf ist dieser zur Umsetzung dem Personal mitzuteilen. Ähnliche Forderungen erhebt auch die Hessische Hygieneverordnung aus dem Jahr 2011.
Mit der Bildung eines ABS-Teams erfüllt das Krankenhaus Nordwest ebenso wie das Hospital zum Heiligen Geist seit 2016 diesen Auftrag der unterschiedlichen normativen Vorgaben. Bereits 2015 wurden die ersten ABS-Experten ausgebildet und zu Beginn des Jahres 2016 konstituierte sich das ABS-Team. Die Mitglieder des Teams werden von der Geschäftsführung berufen, um Strategien und Leitlinien zur optimierten Anwendung von Antiinfektiva zu entwickeln und umzusetzen. Dabei werden sie von der Geschäftsführung und den Direktorien der Krankenhäuser unterstützt. Dem ABS-Team der Stiftungskrankenhäuser gehören dabei ein erfahrener Apotheker für klinische Pharmazie, klinisch infektiologisch ausgebildete praktisch tätige Fachärzte, der verantwortliche Krankenhaushygieniker, der diagnostisch verantwortliche Mikrobiologe sowie mindestens ein ABS-Experte aus den Bereichen der Inneren Medizin, Intensivmedizin, Neurologie und Chirurgie der Stiftungskrankenhäuser an. Die Tätigkeiten des ABS-Teams haben das Ziel, die Qualität des Antiinfektiva-Einsatzes sowie die korrekten Indikationsstellungen und die richtige Auswahl der Substanzen sowie deren Dosierung und Anwendungsdauer kontinuierlich zu beobachten und zu verbessern, um so optimierte klinische Behandlungsergebnisse für den Patienten zu erreichen. Durch regelmäßige Sitzungen der Fachexperten wurden bis dato in Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung, den Ärztlichen Direktorien, der Antibiotika- und der Arzneimittelkommission wesentliche strukturelle Vorgaben und Standards (Tabelle 1) erarbeitet und weiter kontinuierlich verbessert und ergänzt.
Das ABS-Team hat das Ziel, optimierte klinische Behandlungsergebnisse für den Patienten zu erreichen
Die vom ABS-Team erarbeiteten Hausleitlinien wurden über die Vertreter der Fachdisziplinen im Konsens mit den verschiedenen Kliniken der Stiftungskrankenhäuser verabschiedet. Die Implementierung erfolgte dann durch regelmäßige Schulungen im Rahmen von Fortbildungen und durch Bekanntgabe im Intranet.
Bislang wurden insgesamt sieben ABSExperten weitergebildet bzw. befinden sich noch in der Weiterbildung. Neben klassischen Strukturvorgaben, wie der hausinternen Antibiotikahausliste, Fortbildungsveranstaltungen und den regelmäßig angepassten und entsprechend der jährlich vorgelegten Resistenzstatistiken modifizierten Antibiotikaleitlinien hat das ABS-Team Ende 2016 auch ein sogenanntes Stop-and-Order-Programm in Kombination mit einem infektiologischen Konsiliardienst etabliert: Mit Hilfe dieses Systems werden die entsprechend der Antibiotikahausliste als reglementierte Antiinfektiva bezeichneten Substanzen(Reservesubstanzen) zur Behandlung schwerer Infektionen oder auch Chinolone und III.-Generations-Cephalosporine als Treiber unerwünschter Resistenzentwicklung) im Verbrauch kontrolliert und möglichst reduziert, indem sie nur noch auf Vorlage von Oberarzt-/Chefarzt-Rezepten von der Apotheke ausgegeben werden.
Mit einem eigenen ABS-Programm werden alle strukturellen und strategischen Forderungen des Infektionsschutzgesetzes erfüllt
Reglementierte Antiinfektiva mit Reservecharakter sind zudem immer mit einem innerhalb von drei Tagen nach Ausgabe vorgenommenen infektiologischen Konsil durch die für die jeweiligen Fachabteilungen zuständigen ABS-Experten verbunden, um so eine nicht indikationsbezogene Anwendung dieser wertvollen Substanzen zu verhindern. Die kollegialen Beratungsgespräche erfolgen in enger Abstimmung mit den behandelnden Fachärzten der Einzelabteilungen, mit dem Ziel, eine höchstmöglichen Durchdringung ohne fachliche Reibungsverluste zu erreichen. Bereits zwei Jahre nach der Initialzündung zeigt sich der Erfolg des ABS-Programms in rückläufigen Antibiotikavebrauchs-Dichten am Krankenhaus Nordwest, einer reduzierten Anwendung von Reservesubstanzen und insbesondere am deutlichen Rückgang von klassischen, besonders mit mikrobiologischen und resistenzepidemiologischen Kollateralschäden assoziierten Antibiotika, wie der Chinolone und III.-Generations-Cephalosporine. Zusätzlich konnten in 2017 bereits ca. 155.000 € an Kosten für Antiinfektiva eingespart werden und dies bei optimierter therapeutischer Anwendung und anhaltend hoher Behandlungsqualität.
Wesentliche Ziele des ABS-Programms für die kommenden Jahre sind die Fortentwicklung und Aktualisierung von Strukturen und Richtlinien ebenso wie die weitere Durchdringung möglichst aller Fachbereiche und Funktionen der Stiftungskrankenhäuser im Sinne einer optimierten Antiinfektiva-Anwendung, um auf diese Weise auch zukünftig die Therapiestandards hoch und das Resistenzniveau möglichst niedrig zu halten.
Zusammenfassung
Mit der Implementierung eines ABS-Teams und eines eigenen ABS-Programms erfüllt die Stiftung Hospital zum Heiligen Geist alle wichtigen strukturellen und strategischen Forderungen entsprechend der Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes, der Hessischen Hygieneverordnung und der auf der Basis höchster Evidenz erstellten Leitlinie der AWMF zur optimierten Antibiotikaanwendung. Ein modernes Infektionsmanagement kombiniert mit einer leitliniengerechten Anwendung von Antiinfektiva und erweitert um aktuelle krankenhaushygienische Präventionskonzepte sind essentielle Bestandteile eines optimierten Managements von Patienten mit Infektionen in allen Fachkliniken und modernen Einrichtungen unseres Gesundheitssystems. Insbesondere die Vermeidung nosokomialer Infektionen und die sparsame, indikationsgerechte Anwendung kostbarer antibiotischer Substanzen sind dabei aber nicht nur normative Verpflichtung, sondern stellen schlicht eine unbedingte medizinische Notwendigkeit für ein modernes und zukunftsorientiertes Krankenhausmanagement dar.
Prof. Dr. med. Klaus-Peter Hunfeld, MPH
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