Hospital zum Heiligen Geist

„In den letzten 20 Jahren haben wir die größte psychosomatische Tagesklinik in Deutschland etabliert“

Seit 20 Jahren gibt es die Psychosomatische Klinik am Hospital zum Heiligen Geist in Frankfurt. Wir sprechen mit dem Chefarzt der Klinik, Dr. med. Wolfgang Merkle.

DIE STIFTUNG:
Dr. Merkle, die Psychosomatische Klinik besteht seit 20 Jahren am Hospital zum Heiligen Geist. Sie haben diese Abteilung aufgebaut. Wie erlebten Sie diese Zeit?

Dr. Merkle:

Im Januar 1996 erging der Feststellungsbescheid vom Ministerium zur Aufnahme der Psychosomatik in den Krankenhausbedarfsplan des Landes Hessen. Wenige Monate später, am 4. Oktober 1996, eröffnete am Hospital zum Heiligen Geist die erste psychosomatische Abteilung an einem Allgemeinkrankenhaus in Hessen. Als ich meine Tätigkeit als Chefarzt aufnahm, waren schon Zuversicht und Optimismus notwendig, um die Klinik trotz der bestehenden Vorbehalte und Schwierigkeiten aufzubauen. Allerdings waren die Fakten der Möglichkeiten, durch eine multimodale Krankenhaus-behandlung chronifizierende Krankheitsprozesse aufzuhalten und damit auch Kosten zu sparen sowie Leid zu verhindern, zu überzeugend.

Wo steht die Klinik heute?

In den vergangenen 20 Jahren gelang es mir und meinem engagierten Team, neben dem stationären Bereich eine Tagesklinik mit einer sehr intensiven multimodalen Behandlung zu etablieren, die mittlerweile mit 50 Plätzen die größte psychosomatische Tagesklinik in Deutschland ist. In der Zwischenzeit wurden schon weit mehr als 7.300 Patienten stationär oder in der Tagesklinik behandelt, mit einer Aufenthaltsdauer zwischen vier und zwölf Wochen.

Welche Patienten kommen zu Ihnen?
Wie sieht ihr Behandlungskonzept aus?

In unser Psychosomatischen Klinik werden nicht nur Patienten mit Essstörungen, somatoformen Schmerzstörungen, dissoziativen Störungen sowie Traumafolgestörungen behandelt. Auch Patienten mit organischen Erkrankungen, wie Diabetes mellitus, Herzerkrankungen, Krebserkrankungen, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Hauterkrankungen usw., bei denen die Heilung durch psychosoziale Probleme behindert ist oder die aufgrund einer chronischen Erkrankung seelisch in Schwierigkeiten geraten, werden hier aufgenommen. Es gibt auch einen Überschneidungsbereich mit der Psychiatrie in den Diagnosen der affektiven Störungen, wie Angst und Depression, sowie bei den Persönlichkeitsstörungen und Zwangserkrankungen. Wir arbeiten nach einem psychoanalytischen konfliktzentrierten Konzept unter Einbeziehung gruppendynamischer, systemischer und verhaltensmedizinischer Aspekte. Die Verknüpfung von Lebensschicksal und Krankheitsbild des Patienten stehen im Mittelpunkt der Behandlung. Da sich nach einer stationären oder tagesklinischen Behandlung häufig eine ambulante psychosomatische Behandlung anschließt, arbeiten wir eng mit niedergelassenen Ärzten unserer Region zusammen.

Was bedeutet Psychosomatik in einem Allgemeinkrankenhaus?

Psychosomatik im Allgemeinkrankenhaus bedeutet neben der spezifischen Versorgung intensiv psychosomatischer Patienten die Vernetzung mit anderen Kliniken und Abteilungen sowie mit niedergelassenen Ärzten.

Wichtig dafür ist die wohnortnahe Platzierung der Planbetten. Dadurch wird gewährleistet, dass die bei psychosomatischen Patienten sehr häufige Chronifizierung von Krankheitsbildern und die Fehlallokation psychosomatischer Patienten in organischen Fächern mit der Gefahr von iatrogener Schädigung verringert wird. Unsere Klinik arbeitet beispielsweise eng mit der Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie zusammen. Diese intensive Zusammenarbeit mit der Schmerzklinik ermöglicht, schwerste chronische Schmerzpatienten leib-seelisch zu erreichen. Seit 2006 gibt es hier eine Einheit mit einer geschlossenen Gruppe, die jeweils drei Wochen zur stationären Behandlung bleibt. Die Nach- frage ist sehr groß. Die Wartezeit für Schmerzpatienten dauert bis zu sechs Monaten.

Was ist das Besondere in Ihrer Psychosomatischen Klinik?

Das Besondere an unserem psychosomatischen Krankenhausbehandlungssetting ist der multimodale intensive interdisziplinäre Behandlungsansatz mit über 20 Therapieeinheiten pro Woche. Dies ermöglicht bei vielen psychosomatischen Patienten mit sehr frühen Störungen eine Mentalisierungshilfe in ihrem körperlich fixierten konkretistischen Denken. Dazu gehören Therapiemethoden, die die Fantasie und die Körpererinnerungen durch konkrete Angebote anstoßen, z. B. durch Konzentrative Bewegungstherapie, Kunst- und Musiktherapie.

Zudem haben wir die Möglichkeit, Patienten nach einem stationären Aufenthalt nach einer bestimmten Zeit über?die Tagesklinik wohnortnah an die Alltagsbedingungen heranzuführen. Die Nähe zu den somatischen Kliniken macht es uns möglich, auch Patienten mit starken körperlichen Erkrankungen, z. B. Magersucht, Herzpatienten, chronischentzündliche Darmerkrankungen, Schmerzpatienten, in unserer Klinik zu behandeln.

Darüber hinaus gibt es Zusatzangebote, die auf spezielle Störungen der Patienten ausgerichtet sind, wie Essbegleitung, Schmerztagebuch, Angstbewältigung, Psychoedukation, Stabilisierungsprogramme und die traumabearbeitende Psychotherapiemethode EMDR (die Redaktion: Eye Movement Desensitization and Reprocessing).

Wie erfolgreich ist Ihr Behandlungskonzept? Gibt es dazu Untersuchungen?

Zwischen 2011 und 2013 befragten wir rund 1.000 Patienten mit dem erfreulichen Ergebnis, dass mehr als 85 Prozent mit der Behandlung in unserer Klinik zufrieden oder sehr zufrieden waren. Den meisten Patienten ging es am Ende der Behandlung etwas oder viel besser als zu Beginn. Die Ergebnisse zeigten einen deutlichen Trend, dass mehr Männer in die psychosomatische Behandlung kommen, wenn es das Angebot einer Tagesklinik gibt. Die Stigmatisierungsangst ist hier geringer. Das Verhältnis von weiblichen und männlichen Patienten liegt im Schnitt in unserer Klinik bei ca. 70 zu 30 Prozent. Die Zeit von den ersten Symptomen bis zur Behandlung ist mittlerweile bei uns kürzer als noch vor zehn Jahren. Nach wie vor ist diese Zeitspanne für die Patienten immer noch viel zu lang. Der Ausbau der psychosomatischen Versorgung am Krankenhaus ist ein erster Schritt, um der gravierenden Unterversorgung von psychosomatischen Patienten in unserem Krankenhauswesen entgegenzuwirken.

Sie sprechen von einer gravierenden Unterversorgung von psychosomatischen Patienten. Was tut der Gesetzgeber dagegen?

Was immer noch aussteht, ist der im Gesetz bereits vor drei Jahren beschlossene Aufbau von psychosomatischen Instituts- ambulanzen. Hier müssen noch gesetzliche Voraussetzungen im Sinne einer Gesetzesänderung erfolgen, um diesen wichtigen Baustein der Versorgung von komplizierten Problempatienten zu verbessern, die bisher häufig durch alle Netze fallen

Was sind Ihre Pläne für die nächsten Jahre?

Zukunftsmusik ist sicher die Idee, andere Kliniken, die keine Psychosomatik haben, durch eine Kooperation in die psychosomatische Versorgung mit einzubinden und dort Konsildienste und Weiterbildung für die „somatischen“ Disziplinen anzubieten. Insbesondere in Bereichen wie der Onkologie und Schmerzbehandlung wird dies sicher sowieso in den nächsten Jahren obligatorisch.

Das Gespräch führte Brigitte Ziegelmayer

20 Jahre Erfahrung am Hospital zum Heiligen Geist

Seit 20 Jahren besteht die Psychosomatische Klinik am Hospital zum Heiligen Geist unter der Leitung von Chefarzt Dr. med. Wolfgang Merkle. In der Psychosomatischen Klinik stehen 30 vollstationäre und 50 tagesklinische Plätze zur Verfügung. Mehr als 7.300 Patienten wurden seit der Gründung in den vergangenen 20 Jahren behandelt. Im Mittelpunkt der Behandlung stehen die Bearbeitung des individuellen Krankheitserlebens, die Krankheitsverarbeitung und die Verknüpfung von Lebensschicksal und Krankheitsbild des Patienten. Weiterhin versorgt die Psychosomatische Klinik gemeinsam mit der Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie sowie dem Schmerztherapeutischen Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) unter dem Dach des Interdisziplinären Multimodalen Schmerzzentrums am Hospital zum Heiligen Geist Patienten mit akuten und chronischen Schmerzen. Weitere Schwerpunkte sind die Psychonkologie und der Konsildiens.

Kontakt

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Telefon: (0 69) 2196 - 2101